© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Frisch gepresst

Tor zur Welt. Erst eine Feuerkatastrophe, der große Brand von 1842, schuf die Voraussetzungen dafür, daß Hamburg seine engen innerstädtischen Grenzen sprengen und die sich bietenden Chancen von Industrialisierung und Globalisierung nutzen konnte. Das deutsche „Tor der Welt“ nahm daher nach 1842 Gestalt an. Die Einwohnerschaft der Elbmetropole wuchs von 140.000 Einwohnern in der Biedermeierzeit bis 1910 auf 930.000 an. Diesen demographisch, ökonomisch, sozial und politisch tiefgreifenden Umwälzungen schenkt Jan Bürgers „Hamburger Kulturgeschichte“ jedoch eher geringe Beachtung, obwohl doch ein wirkungsmächtiger Gesellschaftstheoretiker nicht zu Unrecht annahm, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt. Was in gewisser Hinsicht auch für Bürger gilt, denn der Autor ist hauptberuflich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach tätig. Folglich ist seine Kultur- mehr eine unterhaltsam-anekdotisch angelegte Literaturgeschichte der Hansestadt. Daneben gewinnt nicht einmal die unter britischer Besatzungsmacht aufgebaute „Pressestadt“ Hamburg Profil, über die Bürger nur Klischees abspult wie jene über die Zeit-Journalistin und „eine Art Witwe der Attentäter vom 20. Juli 1944“ Marion Gräfin Dönhoff, der er, offenkundig im Rausch, trotz „mäßigen Stils“ eine „Scharfsinnigkeit ihrer Analysen“ attestiert. (ob)

Jan Bürger: Zwischen Himmel und Elbe. Eine Hamburger Kulturgeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2020, gebunden, 384 Seiten, Abbildungen, 24 Euro





Wilna. Die Einwohnerschaft der heutigen litauischen Hauptstadt war im 19. Jahrhundert ein buntes Völkergemisch. Zur polnischen Mehrheit kamen Litauer, Deutsche, Russen und natürlich Juden, die die Stadt zum „Jerusalem des Ostens“ machten. Dazu entwickelte sich die bereits zur Hochzeit der Rzeczpospolita 1578 gegründete Universität mit dem Protegé des Zaren Alexander I. nach 1803 zur größten Universität des Russischen Reiches – noch vor Sankt Petersburg, Moskau oder Dorpat. Im Sammelband unter Regie der Slavistin Monika Bednarczuk untersuchen die Beiträger, inwieweit sich diese Hochschule in den kommenden Jahrzehnten zunehmend als „Ort deutscher Kultur und Wissenschaft“ etablierte. Detailliert weisen die Beiträger diesen „Kulturtransfer“ in den einzelnen Fakultäten nach. (bä)

Monika Bednar-czuk (Hrsg:): Kulturtransfer in der Provinz. Wilna als Ort deutscher Kultur und Wissenschaft (1803–1832). Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2020, gebunden, 251 Seiten, 68 Euro