© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Aliens in der Treibhaushölle
In der Venus-Atmosphäre wurden mögliche Lebensspuren gefunden / Mehr als haltlose Spekulation?
Tobias Albert

Sind wir im Weltall alleine? Astrobiologen halten das angesichts von Hunderten Milliarden Galaxien für unwahrscheinlich. Sie antworten daher meist: „Wir haben das außerirdische Leben bloß noch nicht gefunden!“ Ob die Lichtjahre entfernten Aliens schnöde Einzeller oder intelligente Lebensformen sind, läßt sich noch weniger sagen.

Bislang schien nur relativ sicher, daß in unserem Sonnensystem allenfalls auf dem umschwärmten Mars oder in den eisigen Wasserwelten des Jupiter-Monds Europa und des Saturn-Mondes Enceladus mikrobische Lebensformen möglich sind. Aber was ist mit der Venus?

Unser nächster Nachbar ist zwar ähnlich groß und schwer wie die Erde, aber obwohl nach der römischen Liebesgöttin benannt, ist der Gesteins­planet eine giftige Gluthölle, wo Blei, Zinn und Zink flüssig sind und Schwefelsäure gasförmig ist.

Heißer als auf der Sonnenseite des Merkur

Die sowjetische „Venera 7“-Sonde, die vor 50 Jahren als erste auf dem hellsten Planeten am Nachthimmel landete, überlebte nur 23 Minuten und maß dabei eine Temperatur von 465 Grad Celsius und einen Luftdruck, der neunzigmal höher ist als der irdische. Anders als der nur halb so große und zehnmal leichtere Mars hat die Venus zwar eine dichte Atmosphäre, die aber besteht zu etwa 96,5 Prozent aus Kohlendioxid. Der Rest sind vor allem Stickstoff, Säuren und diverse Spurengase.

Daß auf der dortigen Oberfläche heißere Temperaturen gemessen werden als auf der Sonnenseite des Merkur, ist dem „Venus syndrome“ geschuldet: Der sonnennächste und nur erdmondgroße innerste Planet hat keine Atmosphäre, die Venus hingegen eine undurchsichtige CO2-Atmosphäre mit einem galoppierenden Treibhauseffekt, der sich – unter anderem durch die im Vergleich zur Erde höhere Wäremeeinstrahlung der Sonne – selbst verstärkt. Das einst auf der Venusoberfläche möglicherweise vorhandene Wasser ist daher längst verdampft. All das spricht für eine eigentlich völlig lebensfeindliche Umgebung.

Eine internationale Forschergruppe um Jane Greaves (Cardiff University), Anita Richards (University of Manchester), William Bains, Janusz Petkowski und Sara Seager (Massachusetts Institute of Technology/MIT), Paul Rimmer (University of Cambridge) sowie Hideo Sagawa (Kyoto Sangyo University) verkündete daher am 14. September eine Sensation: Ihr Team habe das Giftgas Monophosphan (PH3) in der Venus-Atmosphäre (Nature Astronomy 2020) gefunden, erklärte die in Toronto geborene Astrophysikerin Seager auf einer Pressekonferenz der britischen Royal Astronomical Society (RAS).

Die Teleskope JCMT (Hawaii) und Alma (Chile) hätten dort eine Teilchendichte von 20 PH3-Molekülen pro Milliarde Atmosphärenmolekülen (ppb) bestätigt. Schon Anfang des Jahres wurde in Fachblatt Astrobiology (Vol. 20, 2/20) spekuliert, daß PH3 ein Indikator für Leben sein kann, da es auch auf der Erde von manchen Bakterien produziert wird.

Doch dies ist nicht die einzige Möglichkeit, wie PH3 entsteht. Photochemische Prozesse, die in der Venus-Atmosphäre von der Energie der Sonnenstrahlen in Gang gesetzt werden, können es ebenfalls erzeugen. Ebenso können Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge oder Blitze als Zünder solcher Reaktionen dienen, und selbst die zufälligen Kollisionen von Gasteilchen sind ausreichend.

All diese Möglichkeiten wurden von den Wissenschaftlern für Dutzende chemische Reaktionsketten durchgerechnet, doch sie könnten nicht einmal ein Zehntausendstel der gemessenen Teilchenkonzentration erklären, heißt es. 

Das Zwischenfazit lautet also: Ein unbekannter chemischer Prozeß findet in der Venus-Atmosphäre statt – möglicherweise verursacht durch Mikroorganismen. Falls diese Phosphan auf der Venus mit nur einem Zehntel der Effizienz irdischer Bakterien produzieren, wäre dies ausreichend, um die hohe Konzentration des Gases zu erklären. Leben auf der Venus-Oberfläche scheint ausgeschlossen, doch in der Atmosphäre gibt es eine Schicht zwischen 50 und 60 Kilometern Höhe, in der der Luftdruck vergleichbar mit dem auf der Erdoberfläche ist und die Temperaturen nur 55 Grad betragen.

Wurde wirklich organisches Monophosphan entdeckt?

Computermodelle zeigen, daß die Venus vor bis zu 715 Millionen Jahren noch flüssiges Wasser auf ihrer Oberfläche gehabt haben dürfte. Daher spekulieren die Forscher, daß dieses Wasser nun als Tröpfchen in den Wolken einen Rückzugsort für Mikroorganismen darstellen könnte, in dem sie vor der giftigen Schwefelsäure geschützt wären. Das ist nicht allzu weit hergeholt, da auch unsere Erde ein vergleichbares Ökosystem in ihrer Atmosphäre beherbergt. Dennoch betonen die Wissenschaftler: Ihre Forschungsergebnisse seien ein starker Hinweis auf Leben, aber noch kein Beweis.

Erst eine neue Venusmission, die einen Forschungsroboter an einem Ballon in die dortige Atmosphäre bringt, könne hierüber Klarheit schaffen. Auch besteht natürlich die Möglichkeit, daß irgendein anorganischer Produktionsprozeß nicht ausreichend bedacht wurde. Computerprogramme und Berechnungen aus der Nature-Veröffentlichung  werden nun von Wissenschaftlern aus aller Welt unter die Lupe genommen.

Kritikwürdig scheint, daß die Publikation, die PH3 als ein Lebenszeichen identifiziert, ebenfalls von Seager und fünf ihrer jetzigen Co-Autoren geschrieben wurde. In der heutigen Wissenschaftswelt, in der kleinteilige Spezialisierung von den Forschern verlangt wird, sind solche Überschneidungen unvermeidbar, bieten jedoch auch die Gelegenheit für „Zitierkartelle“.

Das Spektrum-Magazin kritisierte, daß Kalksteinablagerungen auf der Venus fehlen, die aber zu erwarten wären, wenn es dort vor 715 Millionen Jahren einen Ozean gegeben hätte. Ohne Kalkstein also keine Ozeane und ohne Ozeane fehlt der spekulativen These ihre Grundlage, sofern man nicht vollständig andere Formen von Leben voraussetzt als das, was wir von der Erde kennen. Das Magazin National Geographic berichtete, daß der Astronom John Carpenter, der selbst mit Hilfe des Alma-Teleskops forscht, die Glaubwürdigkeit des rekonstruierten PH3-Signals bezweifelt.

Immerhin ist die Venus wieder ins astronomische Rampenlicht gerückt. Die erste Nasa-Mission zur Venus fand 1962 statt, die bislang letzte endete am 13. Oktober 1994. Die letzten sowjetischen Vega-Raumsonden landeten 1985 auf der Venus. Die europäische „Venus Express“-Sonde umkreiste die Treibhaushölle von 2006 bis 2014. Die japanische Akatsuki-Mission endete 2018.

Das Nasa-Discovery-Programm hat die Venusmission „Davinci+“  im Februar in die Endauswahl ihrer nächsten Projekte aufgenommen. Wenn 2021 die finale Entscheidung gefällt wird, könnte die nun erneut angestoßene Suche nach Leben den entscheidenden Ausschlag geben. Wenn aber coronabedingt kein Geld mehr für eine solche Mission bereitgestellt wird, wird die Venus-Alien-Frage nur in den Fachjournalen weitergeführt. Ob wir alleine sind oder nicht, das steht wahrhaftig in den Sternen.

„Phosphine gas in the cloud decks of Venus“: nature.com

Phosphan als Lebensindikator:

 www.liebertpub.com

 www.saraseager.com

 www.ras.org.uk