© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Leserbriefe

Zu: „Wieder der Kernfrage widmen“ von Dieter Stein, JF 39/20

Je ärmer, desto mehr Kinder

Kinder entstehen nicht durch Familienpolitik und soziale Absicherung, sondern durch eine innere Werteeinstellung potentieller Eltern. Träfe zu, daß mehr soziale Absicherung zu mehr Kindern führt, müßten Länder ohne soziale Absicherung längst ausgestorben sein. Das Gegenteil ist jedoch der Fall – die ärmsten Länder haben die höchsten Geburtenraten. Kinder entstehen nicht im Kopf durch rationale Überlegung, sondern im Herzen durch Gefühl. Kinder zu bekommen (ich habe deren vier) bedeutet jedoch auch, einen Großteil des eigenen Lebensinhaltes eben nicht bequem mit Konsum und/oder in sozialen Netzwerken zu verbringen, sondern mindestens am Anfang 24/7 Dienstleister zu sein und Verantwortung für neues Leben zu übernehmen. Aber welches verwöhnte Einzelkind von heute wird denn noch vom Elternhaus auf ein Leben als Familienmensch vorbereitet? 

Stillen und Windelnwechseln sind nicht medienwirksam. Nur so ist es zu erklären, daß Abtreibungen heute zur Normalität der Lebensplanung gehören. Weil das Kind eben gerade nicht zum aktuellen Job paßt. Oder weil es so klimaschädlich ist. So werden Kinder weggeworfen, so wie man eben gerade mal den Job wechselt oder sich ein neues Smartphone kauft. Die heutigen westlichen Gesellschaften bieten jedem Individuum eine scheinbare Sicherheit auch ohne eigene Familie und die grenzenlose Selbstverwirklichung. Nur so ist zu erklären, daß die Transformation Deutschlands in eine multikulturelle Dystopie von großen Teilen der Gesellschaft quer durch alle Bildungsschichten wenn nicht begrüßt, so doch klaglos hingenommen und als Lösung der demographischen Probleme gesehen wird. Statt über eigene Kinder nachzudenken, wird der Fremde freudig als Heilsbringer begrüßt. Wir sind ein Volk geworden, das den Preis von allem kennt und den Wert von nichts, und dafür bekommen wir gerade die Quittung.

Mario Joestel, Merseburg






Zu: „Die DDR im Rückspiegel“ von Thorsten Hinz, JF 39/20

Desinformationsorgan „Spiegel“

Uwe Steimle läßt gern einmal den Ossi heraushängen. Offenbar geht er davon aus, daß die Bewohner der alten Bundesrepublik Deutschland ebenso gern sich als Wessis profilieren. Nach meiner Beobachtung kommt diese Haltung eher links vor und gab es nach der Wende außer bei den Grünen in keiner Partei so viele ausgemachte Wessis wie in der SPD und den angeschlossenen Gewerkschaften. Ich habe mich immer nur als Deutscher gefühlt, der in der Bundesrepublik Deutschland den legitimen Kern des deutschen Nationalstaats gesehen hat. Für mich sind nicht der Wohlstand oder die Menschenrechte oder sonst etwas maßgebend für die Legitimität des westdeutschen Staates gewesen, sondern die Präambel des Grundgesetzes, wo der Verfassungsgeber Deutsches Volk an erster Stelle steht und die Wiedervereinigung als überragendes Staatsziel postuliert wurde. Das deutsche Volk setzt die Menschenrechte in Kraft, nicht umgekehrt. Um so schlimmer, daß das informelle Staatsziel des gegenwärtigen Regimes die Auflösung des deutschen Volkes in eine amorphe multikulturelle Gesellschaft ist. Damit wird der Verfassung die Legitimität entzogen. 

Niemand ist moralisch verpflichtet, einer Obrigkeit gehorsam zu sein, die den Verfassungsgeber, das eigene Volk, absterben läßt. Deshalb halte ich heute mit Uwe Steimle die Bezeichnung „BRD“ für angemessen. Derzeit wird die BRD der ehemaligen DDR tatsächlich immer ähnlicher. Uwe Steimles Vergleich zwischen Sudel-Ede und Claus Kleber sowie Marietta Slomka (und all den anderen Sudels) trifft voll ins Schwarze. Eine irgendwie geartete Überlegenheit über meine Landsleute in der DDR habe ich übrigens nie verspürt, und ich habe nie dem Spiegel und ähnlichen Desinformationsorganen geglaubt, daß man sich im sowjetisch beherrschten Teil Deutschlands mit dem totalitären System angefreundet habe.

Wilhelm Hacke, Witten






Zur Meldung: „Himmelsscheibe von Nebra deutlich jünger“, JF 39/20

Zweifelsfrei 1.000 Jahre älter

Die Meldung zur Himmelsscheibe von Nebra zitiert sehr einseitig die Auffassung der Prä­historiker Rupert Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlungen München, und Rüdiger Krause von der Uni Frankfurt, die beide das Alter der Him­melsscheibe anzweifeln, ohne jedoch stichhaltige Argumente oder Beweise vorzubringen. So hat Dr. Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Direktor des Landesmuseums für Vorge­schichte sowie des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie und Honorarprofessor an der Uni Halle/Saale, seinerzeit zweifelsfrei nachgewiesen, daß die Scheibe aus der frühen Bronze­zeit stammt und ca. 3.700 Jahre alt ist, wogegen es Gebhard und Krause in die Eisenzeit datieren (1.000 Jahre später). Sie bezweifeln auch, daß die Beifunde (Schwerter u. a.) zusammen mit der Scheibe gefunden wur­den. 

Man wirft Meller, der 2018 ein (romanhaftes) Buch über ein bronzezeitliches Fürstenreich geschrieben hat, vor, er vermische Vision und Realität. Ich denke, daß der Archäologe Meller bei seinen Forschungen die Realität sehr wohl richtig einschätzt und sich nicht Spekulationen hingibt. Die Forscher aus Halle (Meller und Kollegen) beweisen auch anhand von Erdresten, daß sowohl die Scheibe als auch die Begleitfunde vom gleichen Fundort stammen; dies bezeugt ein in diesem Jahr veröffentlichter Aufsatz, der allerdings von den Zweiflern nicht erwähnt wurde. Die Studie von Gebhard und Krause sei, so Meller, eine „Retourkutsche“ für seine Kritik am „Bernstorfer Goldschatz“, den Meller und andere Archäologen als unecht einstufen. Es liegt so die Vermutung nahe, die beiden „West“-Wissenschaftler gönnten den Archäologen aus Halle den sensationellen Fund in einem ostdeutschen Bundesland nicht. Ist es vielleicht der Neid auf mögliche Fördergelder?

Ronald Wetzelt, Zeitz






Zum Lesereinspruch: „Bismarcks Erbsünde“ von Hans-Gert Kessler, JF 38/20

Notwendige Provokation

Diesen Lesereinspruch kann ich nicht so stehenlassen. Natürlich wußte Bismarck sehr wohl, daß die Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 in Versailles, noch dazu im großen Spiegelsaal, eine Provokation für Frankreich bedeutete. Aber anders wäre es nicht möglich gewesen, die vielen deutschen Landesfürsten unter einen Hut zu bringen. Hätte Bismarck erst nach Friedensschluß versucht, die Kaiserproklamation in Worms oder Speyer durchzuführen, es wäre ihm nicht gelungen. Jeder zweite Landesfürst hätte Vorbehalte gehabt und Sonderrechte beansprucht. Nein, es ging nur in Versailles und nur an diesem 18. Januar, quasi im Rausch des nahenden Sieges. Bismarck hatte sich später gewisserweise auch entschuldigt, als er gegenüber französischen Diplomaten erklärte, daß es damals nicht anders möglich war und die Franzosen sollten darin keine beabsichtigte Provokation sehen. Es gab kein „Versailles 1871“, das auch nur annähernd mit dem Versailles von 1919 zu vergleichen wäre.

Detlef Moll, Waldbröl






Zu: „‘Sie schießen auch auf Polizisten’“ von Jörg Sobolewski, JF 38/20

Der Konflikt schwelt schon lange

Zu Ihrem Artikel über die Araucanía (mit Akzent!) sind einige Berichtigungen nötig. Es gibt keine Provinz dieses Namens, sondern nur eine „Región“, die zwei Provinzen hat, Malleco und Cautín. Die nördlich angrenzende 8. Región heißt Biobío (in einem Wort und mit Akzent!). Nicht die Araucanía war Hauptziel der deutschen Einwanderung in der Mitte des 19. Jahrhunderts (sie war damals noch durch die „frontera“ vom übrigen Chile abgetrennt und Land der Araukaner), sondern die südlichen Regionen „de Los Ríos“ (mit Valdivia als Hauptstadt) und „de Los Lagos“ (mit Puerto Montt als Hauptstadt). Die deutsche Einwanderung in die Araucanía erfolgte erst 30 Jahre nach der in den Kleinen Süden und war zahlenmäßig geringer als die von Italienern und Angehörigen anderer Nationen. In der Araucanía sind mir zwar viele Brandstiftungen und auch Morde bekannt, allerdings ist meines Wissens keine deutschstämmige Familie betroffen. 

Weiter im Süden ereigneten sich dagegen die jüngsten Brandstiftungen auf Landgütern, auch auf solchen von Deutschstämmigen. In der Einschätzung der Lage stimme ich mit dem Autor überein, allerdings schwelt der Konflikt schon seit Jahrzehnten und keine der Nach-Pinochet-Regierungen hat eine Lösung auch nur angestrebt. Diese könnte nach kolumbianischem Vorbild erfolgen, wo den Indigenen ein eigener Rechtsstatus eingeräumt wurde. Dies hat zur Befriedung zumindest der Konflikte zwischen Indigenen und Mestizen/Weißen erheblich beigetragen. Zudem: Nicht der „Kleine Süden“ (dazu gehört die Región del Biobío nicht) ist die Kornkammer Chiles (allenfalls die „Milchkammer“), sondern das fruchtbare Bewässerungsgebiet des zentralen Längstals in der Zentralzone. Aber auch im Norden gibt es in den Flußoasen hochproduktive Agarregionen.

Prof. Dr. Axel Borsdorf, Mössingen






Zu: „‘Ein gespaltenes Land ist nicht dramatisch’“ von Harald Melzer, JF 38/20

Unterschiedliche Einwanderung

Dem Einwurf von Andreas Rödder, es habe „schon seit den sechziger und siebziger Jahren Einwanderung gegeben“, muß entgegnet werden, daß diese Einwanderung kontrolliert stattfand und weil die deutsche Wirtschaft Arbeitskräfte brauchte, zudem die Gastarbeiter nur auf kurze Zeit bleiben wollten und sollten – während seit Merkel eine Einwanderung unkontrolliert und unter Mißbrauch des Asyl- und Flüchtlingsrechts geschieht. Und dem Ostthüringer Holger Thuß ist entgegenzuhalten, daß in der DDR-Diktatur die (Meinungs-)Freiheit vom Staat unterdrückt wurde, wogegen man sich nur unter Lebensgefahr wehren konnte, während in der demokratischen Bundesrepublik die Meinungsfreiheit nicht staatlicherseits (Meinungsfreiheit als Grundrecht Art. 5 GG), sondern durch den Druck demokratisch nicht legitimierter gesellschaftlicher Gruppen gefährdet wird.

Dr. Wolfram Enders, Eschershausen






Zur Brennpunkt-Seite: „Unsicherheit, die bleibt“ von Ronald Berthold, JF 37/20

Das dürften längst nicht alle sein

Hier ist die Rede von 272.000 ausreisepflichtigen Migranten. Dies bedarf der Ergänzung. Denn diese Zahl erfaßt vermutlich nicht diejenigen Migranten, deren erster Asylantrag bereits in zumeist zwei Gerichtsinstanzen rechtskräftig abgelehnt wurde und die anschließend umgehend einen Asylfolgeantrag stellen, über den erneut entschieden und gegebenenfalls gerichtlich verhandelt wird, ohne daß ungeachtet der fehlenden aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels die Abschiebung eingeleitet wird. 

Sie erfaßt auch nicht solche Zuwanderer, denen nach der materiellen Rechtslage ein Aufenthaltsrecht nicht mehr zusteht und wo die staatlichen Organe dennoch keine Maßnahmen einleiten, um auch die formellen Voraussetzungen für eine Beendigung des Aufenthalts herbeizuführen. Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft müssen daher unverzüglich widerrufen werden, sobald die Voraussetzungen für sie entfallen sind. Der einschlägige § 73 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) ist zwingendes Recht („sind zu widerrufen“, so daß die Entscheidung über den Widerruf nicht im Ermessen und schon gar nicht im Belieben der zuständigen Behörden liegt. Das gleiche gilt für die Gewährung des sogenannten subsidiären Schutzes (etwa wegen eines im Herkunftsland bestehenden bewaffneten Konflikts), die nach § 73b Abs. 1 Satz 1 AsylG zu widerrufen ist, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen. 

Im Falle der syrischen Migranten mag zweifelhaft sein, ob auf der Grundlage dieser Vorschriften angesichts der dortigen Situation gegenwärtig Widerrufsbescheide ergehen könnten. Daß allerdings etwa im Libanon der Bürgerkrieg, der Ende der achtziger Jahre eine Zuwanderungswelle ausgelöst hat, seit bald drei Jahrzehnten beendet ist, dürfte unstreitig sein. Diesen Sachverhalt sollte einmal der Innenminister des Landes NRW in den Blick nehmen, der es sich auf die Fahne geschrieben hat, die sogenannte Clan-Kriminalität zu bekämpfen.

Wolfgang Kasten, Arnsberg-Hüsten






Zu: „Irlands nachhaltiges Trauma“ von Daniel Körtel, JF 37/20

Alternatives Auswandererziel

Da ich selbst fast drei Jahre in Irland gelebt und gearbeitet habe (Dublin, Belfast, Galway), durfte ich auch in die lokale Geschichte eintauchen. Deshalb kurz zwei Ergänzungen zu dem sehr gut recherchierten Artikel. Zum einen waren die Kartoffelhändler und -großhändler wohl überwiegend selbst Iren. Mit den ersten Anzeichen der „Seuche“ begannen sie Bestände zu horten, um selbst interessante Profite zu generieren, das heißt, die spätere Knappheit wurde auch von Iren erzeugt. Zum anderen kam es in den frühen 1850ern zu einer schweren Wirtschaftskrise, unter anderem in der Kurpfalz. Etwa tausend Familien wollten dementsprechend auswandern ins „gelobte Land“ Amerika. Dort aber erschien eine so große Menge Deutscher auf einen Schlag zuviel und man einigte sich mit den Briten, die Hälfte davon im Westen Irlands anzusiedeln, um dort die Landwirtschaft wieder aufzubauen. Laut der zum Artikel abgebildeten Grafik war dort die eh schon geringe Besiedelungsdichte weiter dezimiert worden. Mir wurde erzählt, daß dort bis in die 1960er Jahre auch noch Deutsch gesprochen worden sei. Und in der Altstadt von Galway (der größten Stadt an der Westküste) werden bis heute nostalgisch einige deutsche Geschäftsnamen über den Schaufenstern erhalten.

Jürgen Ullmann, Wien/Österreich