© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Wie von Geisterhand gekocht
Küchen nur für Lieferdienste: Der Trend gästeloser „Ghost Kitchen“ erreicht Deutschland
Boris T. Kaiser

Nicht erst seit Corona erfreuen sich Pizza-Bringdienste und andere Lieferanten für bereits fertig zubereitete Speisen immer größerer Beliebtheit. Handy-Apps wie Lieferando tun ihr übriges, um diesen Trend zur Bequemlichkeit noch zu verstärken. Aber spätestens wenn die vermeintlich individuellen Köstlichkeiten aus dem schnuckeligen kleinen Familienrestaurant oder vom hippen Imbiß mit eigener Kochphilosophie in genau der gleichen Einheitsverpackung ankommen wie jede andere über die App bestellte Mahlzeit, fragen sich viele Kunden: Wo kommen die vielfältigen Gerichte von Pasta über Schnitzel mit Beilage bis zu den exotischsten fern- und nahöstlichen Menüs eigentlich genau her? 

In den meisten Fällen täuschen die mit dem Logo des Lieferservice versehenen Pappkartons: Zumindest in Deutschland kommt das darin an die Haustür servierte Essen in der Regel tatsächlich immer noch aus einer echten Restaurantküche. Dies könnte sich in Zukunft jedoch ändern, wenn sich ein neues Prinzip aus dem Ausland auch hierzulande verstärkt durchsetzen sollte. 

Das Magazin The New Yorker berichtete kürzlich über die dort immer mehr verbreiteten sogenannten „Ghost Kitchens“. Dabei handelt es sich um Küchen ohne echtes Restaurant, die ausschließlich für den hungrigen Besteller daheim kochen. Auch bei uns gibt es bereits erste Versuche, mit diesem Konzept zu punkten. Aber während sich die Geisterküchen in den USA oft in irgendwelchen Lagerhallen befinden und gänzlich auf Tische, Stühle und Kellner verzichten, erwecken die deutschen Anbieter zumindest nach außen mitunter noch gerne den Eindruck eines echten Speiselokals. So auch der in Kreuzberg aufgewachsene Beschir Hussain. Sein Ghost Restaurant Vadolì in Berlin hat immerhin noch einen kleinen Gastraum mit einigen Tischen. Umsatz macht er hier kaum. Will er wohl auch gar nicht wirklich. Es geht ihm vor allem um emotionale Bindung durch physische Präsenz, wie er kürzlich dem Zeit-Magazin schilderte. 

Jobs für Kellner entfallen

Der Kreuzberger hat große Pläne. Er will den heimischen Food-Delivery-Markt revolutionieren oder vielmehr internationalisieren. Hussain möchte hier etablieren, was zum Beispiel in Nordamerika, Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten schon seit längerem boomt. 2017 gründete er die Vertical Food GmbH, eine digitale Restaurantkette, die unterschiedliche Food-Marken versammelt und zum Beispiel Salate, Wraps, Pastagerichte und Pizza unter unterschiedlichen Restaurantmarkennamen, aber aus ein und derselben Hand beziehungsweise GmbH liefert. Was auf den ersten Blick nach Einheitsbrei klingt, kann durchaus seine Vorteile haben. So achtet der Branchenneuling, der sich auch gegen große Ketten wie Domino behaupten will, darauf, daß seine Filialen an Standorten möglichst großer Reichweite liegen, so daß das Essen nicht erst über lange Strecken durch die Stadt kutschiert werden muß, um dann im besten Fall noch lauwarm den Kunden zu erreichen. 

Schon bei der Zubereitung konzentriert sich der 33jährige, der selbst aus einer Gastronomen-Familie stammt und einst das beste Abitur seiner Klasse schrieb, was ihm eine Hochbegabtenförderung und ein Philosophie- und Wirtschaftsstudium in New York einbrachte, voll und ganz auf die Liefereigenschaften der in seinen Geister-Restaurants zubereiteten Speisen. Darin sieht er den großen Vorteil des Konzepts gegenüber klassischen Restaurants, die immer noch in erster Linie auf ins Lokal kommende Gäste eingestellt seien. 

Die Pasta seiner Marke Spagettini wird so gekocht, daß sie auf dem Weg zum Kunden weitergaren kann und erst am Ziel al dente ist. Für die Entwicklung des perfekten Liefer-Pizzateigs ließ der Geschäftsmann extra den Pizzaweltmeister aus Neapel einfliegen. Daß die Küche, in der all das passiert, immer dieselbe ist, spart Kosten – nicht zuletzt beim Personal. Darin liegt allerdings auch gleichzeitig die Kehrseite dieser wirtschaftlichen Effektivität, die vielen Kellnern und geselligen, ausgehfreudigen Kunden nicht schmecken dürfte.