© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Der Flaneur
Die letzten Sonnenstrahlen
Paul Leonhard

Klatsch, klatsch, klatsch. Mit einem Mal hagelt es nasse Backpfeifen. Na ja, es sind eher sanfte Klapse aus Wasser, die zur Aufmerksamkeit mahnen anstatt das Geschehen am Ufer zu betrachten. 

Überrascht spucke ich Wasser aus. Der aufkommende Herbstwind sorgt für diesen unangenehmen Wellenschlag. Es ist Zeit, ans Ufer zurückzuschwimmen. Hier stehen im hüfttiefen Wasser nackte Rentner und schnacken. Über den Urlaub – geplant war auf die Kanaren zu kommen, in der neuen Realität wurde es die Ostsee –, über die Vorteile des Alleinelebens – wenn du die Butter vergessen hast, fährt dich keiner an, wie blöd man denn sei, sondern das muß man beim Abendbrot mit sich selbst ausmachen –, über die Politik – was passiert, wenn Frauen zuviel Macht haben, erleben wir ja gerade –, und über den zu Ende gehenden Sommer.

Am Ende rufen die Rentner lieber doch nicht die Polizei wegen der lauten Musik.

Tagsüber bilden hier die über Siebzigjährigen eine Mehrheit, meist asketische oder ganz dicke Typen, die nackt auf ihren sorgfältig gefalteten Handtüchern sitzen oder liegen. Sie baden mehr in den letzten heißen Sonnenstrahlen des Jahres als im Wasser. Zwei, drei sehen nach dem Sommer inzwischen wie verbranntes Toastbrot aus. 

Die Handvoll bunter Flecken am Ufer kennzeichnen die Stellen, wo junge Familien ihre Lager mit Strandmuscheln, Zelten, Luftmatratzen und aufgeblasenen Badetieren aufgebaut haben. Von hier dringen die typischen Mutter-Kind-Diskussionen: „Komm raus.“ „Nö.“ „Du hast schon ganz blaue Lippen.“ Dann greift der Vater ein und trägt das strampelnde, bibbernde Kind zum von der Frau mit viel Liebe ausgebreiteten Badetuch.

Am späten Nachmittag beginnt von einer Stelle aus Rap über den See zu schallen. Dann regen sich die Rentner auf, man sei doch hier, um die Ruhe zu genießen, und diskutieren, ob man die Polizei rufen solle. Am Ende drohen sie den Jugendlichen lediglich mit einem 110-Anruf. Denn alle kennen die Schilder rund um den See, auf denen die Stadt droht: Baden verboten.