© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Giorgia Meloni. Avanciert die Chefin der Fratelli d‘Italia zur führenden Rechten Italiens?
Die kleine Schwester
Marco F. Gallina

Italien ist reif für seine erste Premierministerin!“ Wen Giorgia Meloni mit dieser Ankündigung meinte ist klar – schließlich ist die Chefin der Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) derzeit die einzige Frau an der Spitze einer italienischen Parlamentspartei. Im Ausland haben viele die zierliche, mit 1,63 Metern auch für italienische Verhältnisse kleine Frau nun, nach den Regionalwahlen vergangene Woche, erstmals richtig wahrgenommen. Denn ihre FdI, die sich 2012 von Silvio Berlusconis Partei abspaltete, gilt als Gewinner der Wahl. Je nach Region erzielte sie sechs bis 18 Prozent und legte damit erheblich zu.

Der Aufstieg der FdI hängt weniger mit der Schwäche der Lega unter Matteo Salvini zusammen, wie die Medien suggerieren, sondern entspringt den Nachwehen der Neuorientierung des rechten Lagers, seitdem Berlusconis Mitte-Rechts-Partei, die 2013 wiedergegründete Forza Italia, ein Schattendasein führt. Und während Salvinis Lega weiter Richtung Mitte-Rechts rückt, um eine breitere Wählerschaft zu gewinnen, übernimmt Meloni die Inhalte rechts davon. Als Daueralliierte des Lega-Chefs ist die 43jährige zur strategischen Mehrheitsbeschafferin geworden.

Wie Salvini kann auch Meloni auf die Pauke hauen: bei Migration, bei Familienwerten, beim Kampf um die italienische Identität. Aber im Gegensatz zu Salvini, der aus dem Bauch heraus Entscheidungen trifft, gilt sie als rational und abwartend. Vielleicht weil sie früh lernte, wie das Politikgeschäft läuft – 2008 bis 2011 war sie unter Berlusconi Ministerin für Sport und Jugend. 

Im Gegensatz zum kumpelhaften „Matteo“ hat sich Meloni eine seriöse Aura bewahrt. Sie trifft häufig auch dort den richtigen Ton, wo Salvini aneckt. Als Verteidigerin von „Gott, Vaterland, Familie“ wirkt sie souveräner als der großspurige Mailänder. Assoziationen zu Marine Le Pen drängen sich auf, das gilt für Auftreten, Inhalte und ihren Werdegang.

Giorgia Meloni wuchs im römischen Arbeiterviertel Garbatella auf. Mit 15 Jahren trat sie der Fronte della Gioventù bei, der „Front der Jugend“ der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (Soziale Bewegung Italiens). „Ich, eine Frau und noch dazu im ‘falschen’ politischen Lager, das war kein Zuckerschlecken“, erinnert sie sich. 1995 wandte sich der MSI vom Faschismus ab, wurde zur modernen Rechtspartei Alleanza Nazionale. Die fusionierte 2009 mit Berlusconis Forza Italia zum Popolo della Libertà (Volk der Freiheit), die jedoch keine vier Jahre später wieder zerfiel und neben der wiedergegründeten Forza Italia die FdI gebar. 

Über Benito Mussolini, damals Leitstern des MSI, sagt Meloni: „Er ist eine komplexe Persönlichkeit“, die man „kontextualisieren“ müsse. Ihre heutigen Vorbilder sieht sie dagegen in Ronald Reagan und Papst Johannes Paul II. Das Logo des MSI führen die „Brüder Italiens“ dennoch bis heute weiter.