© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Trau, schau, wem
Bundeswehr: Der Chef des Militärischen Abschirmdienstes muß gehen / Die Gründe für diese Personalentscheidung liegen noch im dunkeln
Christian Vollradt

Warum? Und warum ausgerechnet jetzt? Das Rätselraten geht weiter. Warum muß der Präsident des Bundesamts für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), Christof Gramm, gehen? So ganz klar ist es offensichtlich nur denen, die an der Spitze des Verteidigungsministeriums die Entscheidung getroffen haben. Abgeordnete wie Journalisten zählen mögliche Gründe auf, spekulieren, doch es bleibt bei Erklärungsversuchen.

Daß Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am Donnerstag nachmittag vergangener Woche ankündigte, sie werde den 62jährigen Zivilisten, der die Behörde seit 2015 leitet, in den einstweiligen Ruhestand versetzen, hat viele überrascht. Die offizielle Mitteilung bleibt diffus, nennt keinen konkreten Grund und spendiert sogar warme Worte in Richtung Bundesamt („herausragende Rolle ... wertvolle Arbeit für die Bundeswehr und unsere Demokratie ... schwerwiegende Fälle aufgeklärt ... sehr motivierte und qualifizierte“ Mitarbeiter) und dessen Chef, der „spürbare Verbesserungen in Organisation und Arbeitsweisen des BAMAD erwirkt“ habe. 

Von „rechten Netzwerken“ lange nicht geredet

Nun aber, so die Pressestellen-Prosa aus dem Bendlerblock, seien sich die Ministerin und der Präsident einig, daß „Reformen und Modernisierung“ der Behörde „zusätzliche Anstrengungen und Dynamik“ erforderten und dies auch „personell sichtbar“ gemacht werden müsse.

Klar ist: Der zu einer Bundesoberbehörde aufgewertete Nachrichtendienst der Bundeswehr soll die „Speerspitze“ im Kampf gegen Rechts in der Truppe bilden. Gramm vermittelte nicht den Eindruck, als habe er sich dagegen gesträubt. Im Gegenteil. Hatte er vor fünf Jahren noch unter Verweis auf die russische Agententätigkeit in und gegen Deutschland mehr Mitarbeiter für die Spionageabwehr gefordert, so wurde unter Gramm jüngst das Personal zur Suche nach Extremisten erheblich aufgestockt, eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes vereinbart. Zusätzlich bekam das BAMAD einen Vizepräsidenten –, der aus dem Bundesamt für Verfassungschutz kommt. Und schließlich war unter Gramms Ägide gerade erst die neue, innerhalb der Bundeswehr nicht unumstrittene „Farbenlehre“ eingeführt worden: Gelb für die „Verdachtsfallbearbeitung“, Rot für die Einstufung als Extremist und Orange für „mangelnde Verfassungstreue“ (JF 12/20 und 27/20).

Doch während SPD-Vertei­di­gungs­po­li­ti­ker Fritz Felgen­treu Gramms Beitrag in der „Ausein­an­der­set­zung um die Demo­kra­tie“ lobte, zitierte die FAZ ungenannte Stimmen aus der Union, die die Entlassung des habilitierten Juristen als über­fäl­lig bezeichneten. Gramm sei nicht beherzt genug gegen Rechts­ex­tre­me vorge­gan­gen. Der vertei­di­gungs­po­li­ti­sche Spre­cher der Grünen, Tobias Lind­ner, nannte den Schritt „nach den Erkennt­nis­sen und Ereig­nis­sen der letz­ten Monate unaus­weich­lich“. Allerdings seien die „Baustel­len des MAD weit­aus größer als die Frage, wer Präsi­dent ist“.

In der Tat hatten die vom Abschirmdienst den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses übermittelten Erkenntnisse oft nicht dem entsprochen, was insbesondere einige Abgeordnete von Grünen und Linken offensichtlich erwartet hatten. So hieß es etwa im Februar 2019, man habe „keine gewaltbereiten Rechtsextremisten in der Truppe festgestellt“, folglich finde auch deren „Vernetzung“ nicht statt. Im vergangenen Jahr, gab Gramm in einem Bericht bekannt, habe sein Dienst 14 Extremisten in der Bundeswehr identifiziert, „davon acht Rechtsextremisten und zwei Reichsbürger“. Hinzu kommen „38 Personen mit fehlender Verfassungstreue“ (also in der Kategorie Orange). In der Summe 52 Personen – bei rund 180.000 aktiven Soldaten. Deutlich zugenommen habe die Zahl der „Verdachtsfallbearbeitungen“ (Kategorie Gelb) auf rund 600. 

Für den verteidigungspolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, ist damit offenkundig, daß Gramm nun gehen muß, weil „der Verteidigungsministerin der Kampf gegen den vermeintlichen Rechtsextremismus in der Bundeswehr nicht schnell genug“ gehe. 

In der Tat war auffällig, daß der MAD-Chef im Juni dieses Jahres dann doch – erstmals – den Begriff der „Netzwerke“ in einer Stellungnahme verwendete: Eine „neue Dimension des Rechtsextremismus“ in der Bundeswehr ergebe sich, man habe etwa im Kommando Spezialkräfte (KSK) eine „Untergrundarmee bislang zwar nach wie vor nicht entdeckt, aber Beziehungsgeflechte – oder wenn sie so wollen Netzwerke bzw. Strukturen – mit unterschiedlicher Qualität finden wir sehr wohl“. Damit stimmte der Noch-Präsident des BAMAD in das Narrativ linker und grüner Abgeordnetet ein, die partout nicht von Einzelfällen reden wollten. 

Auf einem anderen Blatt steht freilich: Von den angeblichen Verdachtsfällen im KSK ist bisher noch keiner gerichtlich nachgewiesen. Im Gegenteil: Nachdem bereits im Juni die Entscheidung eines Truppendienstgerichts bekannt wurde, mit der die Suspendierung eines Stabsoffiziers des Kommandos für Unrecht erklärt wurde (JF 26/20), fiel auch ein weiteres Urteil zugunsten des betroffenen Oberstleutnants aus (JF 37/20). Nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT sind zudem betroffene Soldaten mit Unterlassungsklagen gegen den Abschirmdienst vorgegangen. Ihr Vorwurf: MAD-Mitarbeiter hätten in ihren Berichten unwahre Tatsachen behauptet.

Wenig schmeichelhaft für die Arbeit der Extremismusbekämpfer in der Bundeswehr: Im bisher einzigen aufsehenerregenden Fall, bei dem die Alarmglocken zu Recht schrillten – dem des KSK-Oberstabsfeldwebels, auf dessen Privatgrundstück in Sachsen die Polizei im Mai Waffen, Munition und Sprengstoff fand – hatte nicht der MAD die entscheidenden Hinweise auf das kriminelle Treiben des Soldaten geliefert, sondern dessen Frau. Rosenkrieg statt Reconnaissance … 

Eine schlüssige Antwort, warum ausgerechnet jetzt der Amtschef Christof Gramm vorzeitig verabschiedet wird, liefert dies jedoch auch noch nicht.