© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Tichys Einschnitt
Eklat um sexistischen Artikel: Publizist Roland Tichy gibt den Vorsitz der Ludwig-Erhard-Stiftung auf
Paul Rosen

Wenn ein linkes Blatt abfällige Bemerkungen über Polizisten verbreitet, passiert  – nichts. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein, der Presserat legt die Angelegenheit schnell ad acta, und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der die die Polizisten auf den Müll wünschende taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah erst anzeigen wollte, tat dann, was er immer in brenzligen Situationen zu tun pflegt: auf Tauchstation gehen. Kommt es dagegen in einer konservativen Publikation zu einer Entgleisung, scheint die Bundesrepublik in ihren Grundfesten erschüttert zu werden. Politiker schäumten, Medien hyperventilierten, als sich das Magazin Tichys Einblick gegenüber der Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli total im Ton vergriff. Durch Berlin wehte tagelang ein Hauch von Jakobinismus.

„Ausfälle mit Zielen der Stiftung unvereinbar“ 

Die Angriffe richteten sich gegen den Herausgeber des Magazins Tichys Einblick, Roland Tichy. Der Journalist hatte nach seinem Abschied von der Wirtschaftswoche ein erfolgreiches Startup gegründet – zunächst erschien Tichys Einblick nur online als konservativ-liberales Magazin, später auch gedruckt. Das Blatt zog schnell einen bunten Strauß von Autoren an und gilt inzwischen als eine wichtige Anlaufstelle für Leser, die nach Nachrichten und Kommentaren jenseits des regierungsgefälligen Mainstreams suchen. 

Die wachsende Beliebtheit machte ihn schnell zum Objekt linker Angriffe und von Aufrufen zum Anzeigenboykott. In der letzten Ausgabe des Tichy-Magazins erschien dann ein Text über die mit dem Regierenden Bürgermeister Müller um einen Bundestagswahlkreis konkurrierende Sawsan Chebli. „Was spricht für Sawasan?“ wurde gefragt, und auch eine Antwort gegeben, wo man besser hätte schweigen sollen: „Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer.“

Chebli empörte sich unverzüglich über „ein besonders erbärmliches, aber leider alltägliches Beispiel von Sexismus gegen Frauen in der Politik“ und erhielt unerwartete Schützenhilfe. Die im Kanzleramt residierende Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) schrieb erst auf Twitter von „widerlichem Dreck“ und „Müll“ und legte dann nach. Empört erklärte sie ihren Austritt aus der Ludwig-Erhard-Stiftung, deren Vorsitzender seit 2014 Tichy ist. „Derartige Ausfälle sind unerträglich und mit den Zielen der Stiftung absolut unvereinbar.“

Damit hatte ein einzelner Artikel, den Tichys Redaktion später als Beleg dafür nahm, „daß in der Satire nicht alles gelingt“, und sich entschuldigte, allerdings die Grundlage für Jagdszenen geliefert, wie sie konservative Autoren und Politiker immer häufiger erleben müssen. In diesem Fall waren alle Voraussetzungen für eine Treibjagd gegeben: Das Objekt stand rechts, aus dem Kanzleramt war Halali zu hören, und es gab mit dem Stiftungsvorsitz ein Amt, aus dem Tichy herausgedrängt werden konnte (auch wenn er nach Angaben seiner Redaktion schon früher zu verstehen gegeben hatte, zur regulären Vorstandswahl im Oktober nicht mehr antreten zu wollen).

Prompt folgten auf Bär Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der CDU-Mittelständler Carsten Linnemann. Sie ließen ihre Mitgliedschaft in der Stiftung ruhen. Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz, erklärte Tichys Rückzug vom Stiftungsvorsitz zur „einzig richtigen Entscheidung“. Merz hatte bereits 2018 die Annahme des Stiftungspreises abgelehnt, angeblich, weil er nicht mit Tichy auf einem Podium stehen wollte. Auch Bundesbankpräsident und Stiftungsmitglied Jens Weidmann meldete sich zu Wort und forderte ein „Debattenklima gegenseitigen Respekts, nicht nur innerhalb der Stiftung, sondern auch darüber hinaus“. Zu den wenigen nachdenklichen Stimmen zählte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), der in einem Interview mit Tichys Einblick auf die Frage, ob es zweierlei Maß in Politik und Medien gebe, antwortete: „Ja, definitiv.“

Die Ära Tichy in der Stiftung wird mit einem Paukenschlag enden. Denn Dan McCrum, Journalist bei der Financial Times, wird im Dezember 2020 den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik 2020 erhalten, den Merz nicht haben wollte. Die Begründung der Jury legt den Zustand des politisch-medialen Komplexes offen und liest sich wie Tichys Vermächtnis: „Mit seinen Berichten über dubiose Geschäftspraktiken des Fintech-Unternehmens Wirecard hat Dan McCrum den größten Wirtschaftsskandal Deutschlands aufgedeckt. Kein namhaftes deutsches Medium griff seine Recherchen auf. Im Gegenteil: Für viele Medien und wohl auch die Finanzaufsicht galt er als Nestbeschmutzer; die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zeigte ihn sogar bei der Staatsanwaltschaft München an. Praktisch im Alleingang hat Dan McCrum den Medien, der Finanzwirtschaft und der Politik in Deutschland investigativen Journalismus vorgeführt.“ Doch die führen lieber Tichy vor.