© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Gegenwind für den Paradigmenwechsel
Das neue Asyl- und Migrationspaket der EU: Von Links und Rechts hagelt es Kritik
Josef Hämmerling

Die Europäische Kommission zog mit dem in der vergangenen Woche vorgestellten neuen Pakt zu Migration und Asyl einen Schlußstrich unter das frühere „Dublin-System“. 

„Es war ein System, das eine unverhältnismäßig hohe Last für die Mitgliedstaaten der ersten Einreise trug und das überhaupt nicht dafür gerüstet war, mit Krisensituationen umzugehen, geschweige denn mit der neuen Realität gemischter und konstanter Migrationsströme auf täglicher Basis“, begründete der für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissar Margaritis Schinas die Notwendigkeit für neue Migrationsmaßnahmen. 

Verbesserte Kooperation mit Drittstaaten

Man habe „die Lehren aus der Vergangenheit gezogen“ und nach ausführlichen Konsultationen aller EU-Länder einen Kompromiß gefunden, der die Interessen aller betroffenen Staaten berücksichtige. 

Dieser Pakt ist nach Worten des Griechen wie ein „Haus, das aus drei Stockwerken besteht“: Die externe Dimension mit Schwerpunkt auf verstärkten Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitländern. Eine robuste Verwaltung der Außengrenzen und feste, aber faire interne Regeln, die sicherstellen, daß den Mitgliedstaaten, die unter Druck stehen, Solidarität gewährt wird. 

Dabei solle der Fehler von 2016 nicht wiederholt werden, als die EU-Kommission nur ein halbherziges Paket vorstellte. Es habe zwar „einen starken Solidaritätsrahmen gegeben, aber ohne die entsprechenden Verantwortungselemente in Form von Screeningverfahren“.

Da es sich um ein globales Phänomen handele, müsse es eine weitere Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit mit Herkunfts-, Transit- und Zielländern von Flüchtlingen und Migranten geben. 

Seit 2015 hat die Europäische Union nach Worten Schinas „mehr als neun Milliarden Euro für die Unterstützung von Flüchtlingen und Migranten außerhalb der EU aufgewendet, um Millionen gefährdeter Menschen lebensrettende Hilfe zukommen zu lassen, Aufnahmegemeinschaften zu unterstützen und nachhaltige, entwicklungsorientierte Lösungen zu fördern“. Diese Schaffung von wirtschaftlichen Möglichkeiten, insbesondere für die Jugend, bleibe eine „gemeinsame Priorität für uns und unsere Partner und von entscheidender Bedeutung, um die Ursachen der irregulären Migration zu bekämpfen.“

Dabei gebe es Probleme: Schmuggler profitierten weiterhin von der Ausbeutung von Migranten. Oft fehlten Kapazitäten für eine effektive Grenzverwaltung, Asyl- und Aufnahmesysteme. Ebenso wie ein gut funktionierendes System für Rückkehr und Rückübernahme. 

Im Durchschnitt würden in der Europäischen Union jedes Jahr rund 370.000 Anträge auf internationalen Schutz abgelehnt, aber nur etwa ein Drittel dieser Personen werde in ihre Heimat zurückgeführt. „Das muß sich ändern“, betonte der EU-Kommissar.

 Da jeder EU-Staat alleine aus geographischen Gründen andere Probleme habe, habe die EU-Kommission ein breites Spektrum in allen Bereichen geschaffen. Hierzu gehöre vor allem auch „eine strategischere, flexiblere und politikorientierte Programmierung der EU-Außenfinanzierung über alle relevanten Rubriken des EU-Haushalts für die nächsten sieben Jahre hinweg“.

 Vor diesem Hintergrund setzt Brüssel auf einen „Paradigmenwechsel“. Entsprechend will die EU auf „gezielte und für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaften mit Drittstaaten hinarbeiten“. Sie sollen dazu beitragen, gemeinsame Herausforderungen wie die Schleusung von Migranten zu bewältigen, legale Zugangswege zu schaffen und die Rückübernahmeabkommen und -vereinbarungen wirksam umzusetzen. Dafür wollen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten ein „breites Spektrum von Instrumenten nutzen, um die Zusammenarbeit mit Drittstaaten bei der Rückübernahme“ zu fördern.

„EU-Plan wird ein zweites Moria nicht verhinden“

Mit dem Paket soll auch ein gemeinsames EU-Rückkehrsystem entwickelt werden, um den EU-Migrationsvorschriften mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Dazu gehören ein wirksamerer Rechtsrahmen, eine wichtigere Rolle der Europäischen Grenz- und Küstenwache und ein neu zu ernennender EU-Rückkehrkoordinator mit einem Netz nationaler Vertreter, die die Kohärenz in der gesamten EU gewährleisten.Dem neuen Pakt zufolge sollen zudem alle Ankömmlinge einer gründlichen Sicherheits-, Gesundheits- und Identitätskontrolle unterzogen werden. Nach dem Screening werde dann schnell über Asyl oder Rückführung entschieden, so der Plan der EU.

Parallel dazu will die Kommission mit wichtigen Drittstaaten „Fachkräftepartnerschaften“ einrichten, die auf den Arbeitskräfte- und Qualifikationsbedarf in der EU zugeschnitten sind. Die im Paket vorgesehenen Anstrengungen in bezug auf Neuansiedlungen und die Förderung anderer komplementärer Zugangswege sollen in die Entwicklung eines europäischen Modells für Patenschaftsprogramme münden. 

Kritik kam vom ungarischen Kabinettssprecher Zoltán Kovács. Der 62jährige betonte, die Grenzen Europas müßten nach wie vor sicher und geschlossen bleiben. Vielmehr müsse man den Leuten vor Ort helfen, um dadurch einen Lebensstandard zu gewährleisten, der sie nicht zur Ausreise zwinge. Auch sollte es zu „externen Hotspots“ kommen, in denen die Asylfrage geklärt wird, bevor die Migranten bereits im Land angekommen seien. Ungarn werde nicht von seiner bisherigen Politik ablassen und auch weiterhin keine Flüchtlinge aufnehmen. 

Kovács betonte, seit 2015 habe Ungarn über eine Milliarde Euro für die Sicherung seiner und der europäischen Grenzen ausgegeben, habe aber aus Brüssel nicht einen Cent zurückerhalten. Skeptisch beurteilte auch der tschechische Regierungschef Andrej Babiš den neuen Pakt. Vielmehr liege „die Lösung für illegale Migration darin, illegale Migranten bereits bei ihrer Ankunft auf europäischem Boden zu stoppen“.

Auf Kritik stieß der Vorschlag der EU-Kommission auch bei den Grünen. „Die Pläne der Kommission werden eine  weitere Moria-Katastrophe nicht verhindern“, erklärte die EU-Abgeordnete Tineke Strik (Grüne/EFA). Die EU müsse das „systematische Leiden an ihren Grenzen beenden“, aber dieser Plan tue dies nicht, betonte die niederländische GrünLinks-Politikerin. Parallel dazu verwies der polnische Außenminister Zbigniew Rau darauf, daß der Migrationspakt nur als Einladung zu Gesprächen betrachtet werden könne. Am 8. Oktober werden die EU-Innenminister über die Zukunft des Paktes diskutieren.