© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Ein Koran-Kommentar für aufgeschlossene Muslime
Wir sind spätantike Debattenkultur
(dg)

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gilt es in der westlichen Islamwissenschaft für nahezu unanfechtbar, daß der Islam das Zeugnis eines „ungelenken Eklektizismus“ sei. Mohammed habe sich „seine Botschaft aus jüdischen und christlichen Versatzstücken zusammengebastelt“ und nach seinem Tod habe sich dieser Eklektizismus prächtig entfaltet (Tilman Nagel). Der Koran, so heißt es daher in einem Werk „Der Koran als Text der Spätantike“ (2010) der Berliner Arabistin Angelika Neuwirth, könne daher als europäischer Text gelesen werden, denn Europa sei doch ebenso wie der Koran aus Judentum und Christentum hervorgegangen. Diese Fiktion der „abrahamitischen“, also eng verwandten Religionen, so Nagel, solle dem Wunschtraum einer unproblematischen Eingliederung der Muslime in unsere Gesellschaft Plausibilität verleihen. Daher dürfe es eine normativ nicht anpassungsfähige religiöse Mitte des Islam nicht geben. Dieser Fata Morgana jagt die, mit erheblichen Steuermitteln ausgestattete, seit 2014 emeritierte Koranforscherin Angelika Neuwirth weiter unbeirrbar nach. Als Leiterin eines Großprojekts der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, das einen vollständigen historisch-kritischen Koran-Kommentar erarbeitet. Um damit ein Gesprächsangebot an „aufgeschlossene Muslime“ machen zu können, die sich mit dieser neuen Version der „abrahamitischen“ Legende davon überzeugen lassen sollen: „Wir sind alle Religionen der spätantiken Debattenkultur.“ Nur „oberflächlich religiös gebildete“ Islamkritiker wie Necla Kelek oder Hamed Abdel-Samad wollen das nicht einsehen (Herder Korrespondenz, 7/2020). 


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