© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/20 / 02. Oktober 2020

Ökostrom gibt’s bald noch teurer
Der Einstieg in die teure Wasserstoffwirtschaft soll die deutsche Energiewende retten / Hilfe aus Afrika?
Christoph Keller

Obwohl die Grünen die kleinste Oppositionsfraktion im Bundestag sind und „Fridays for Future“ keine Massen mehr bewegt, hat das Bundeskabinett deren Steckenpferd „Treibhausgasneutralität“ in vorauseilendem Gehorsam in die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2021, JF 40/20) aufgenommen: Noch vor dem Jahr 2050 soll der CO2-Ausstoß des Energiesektors netto auf null sinken. Sprich: Die Nutzung von Kohle, Gas und Erdöl sollen verboten werden.

Der Ausbau von Wind- und Solar-Anlagen stockt, aber schon 2030 sollen die „Erneuerbaren“ einen Anteil am Energiemix von 65 Prozent haben. Die installierte Windkraftleistung an Land soll sich laut EEG-Entwurf von 54 auf 71 Gigawatt (GW), die von Photovoltaik von 52 auf 100 GW erhöhen. Aber was ist bei Dunkelflauten, wenn weder Wind- noch Solarkraft genügend Strom liefern? Kohlestrom aus Polen ist keine Alternative, denn „Stromlieferungen nach Deutschland müssen treibhausgasneutral sein“, heißt es im EEG. Ob Atomstrom aus Frankreich EEG-konform ist, verrät der Gesetzentwurf nicht.

Ein neuer Exportschlager „Made in Germany“?

Pump- oder Wärmespeicher und Akkus können allenfalls Lastspitzen abdecken (JF 28/20). Deshalb sollen hochflexible Gasturbinenkraftwerke die bis 2038 abzuschaltenden Kohlekraftwerke übergangsweise ersetzen. Diese stoßen nur halb soviel CO2 pro Kilowattstunde (kWh) aus – aber die Stromgestehungskosten liegen dreimal so hoch wie bei Braunkohlekraftwerken. Doch das preiswerte Pipeline-Erdgas aus Rußland oder das teure Flüssiggas aus den USA oder von den Arabern ist nicht „treibhausgasneutral“. Daher werde die „Befreiung grünen Wasserstoffs von der EEG-Umlage“ ins EEG 2021 eingebaut, versprach vorige Woche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), bevor er sich vorsorglich in die Corona-Quarantäne verabschiedete. Die ehrgeizige „Nationale Wasserstoffstrategie“ dazu wurde bereits im Juni vorgestellt. Deutschland solle „Weltmeister“ auf diesem Forschungsgebiet werden, um mit diesem „neuen Exportschlager ‘Made in Germany’ weltweit Standards zu setzen“, versprach Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU).

Bis 2025 stehen für die „Wasserstoffrepublik Deutschland“ neun Milliarden Euro bereit, um „schnell in die großindustrielle Anwendung“ einsteigen zu können. Die Wunderwaffe Wasserstoff (H2) sei die „absolute Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“. Und die Elektrolyse (Power-to-Gas/P2G), die Zerlegung von Wasser in H2 und Sauerstoff (O2) durch Gleichstrom, ist den meisten aus dem Schulunterricht bekannt.

Dadurch und durch die kontrollierte, Energie freisetzende H2-Verbrennung zurück zu Wasser, ließe sich, so kommentiert Konrad Schönleber, Physiker am Deutschen Museum in München, im Prinzip ein „schadstoffarmes, sicheres und nachhaltiges Energiesystem“ etablieren. Ein P2G-System könnte – auf Ökostrom umgestellt – den nicht gesicherten Energiebedarf in Industrie, Verkehr und Privathaushalten befriedigen. Der Realisierung stünden keine technologisch unüberwindlichen Hürden im Wege (Kultur&Technik, 2/20).

Doch das blendet die ökonomischen, ökologischen und gesellschaftspolitischen Dimensionen aus. H2 muß für die Turbinen und Brennstoffzellen der Autos erst hergestellt werden – dabei gehen je nach Verfahren 20 bis 40 Prozent der Energie verloren. Hinzu kommen Verluste bei der Verdichtung (etwa 15 Prozent) oder Verflüssigung (bis zu 25 Prozent) für den H2-Transport. Beim P2G-Verfahren und der Rückverstromung gehen praktisch etwa 60 Prozent des eingesetzten Wind- und Sonnenstroms verloren. Sprich: P2G-Strom ist etwa dreimal so teuer.

Für die Minister Altmaier, Karliczek oder ihre ähnlich optimistische SPD-Kollegin Svenja Schulze (Umwelt) sowie die „grünwirtschaftliche“ Sympathisantenszene ist P2G per Wind- und Sonnenstrom das Ei des Kolumbus. Das Wundergas sei „ein Energiespeicher, der angebotsorientiert und flexibel erneuerbare Energien speichern und einen Beitrag zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage leisten kann“ – sprich: H2 soll die Malaise der teuren Zwangsabschaltungen bei Dunkelflauten und die der Speicherung „überschüssigen“ Wind- und Sonnenstroms beenden.

Zukünftiger Grundstoff für „grüne“ Produktionsprozesse

Der an windigen und sonnenreichen Tagen zuviel erzeugte Strom soll künftig in Elektrolyse fließen – daher Altmaiers Reduzierung der EEG-Umlage für „grünen Wasserstoff“. Grüne Politiker wie der Kieler Umweltminister Jan Philipp Albrecht fordern eine komplette Befreiung – wer die entsprechenden EEG-Einnahmeverluste deckt, verraten beide nicht. Die heutigen, tausendfachen Ausnahmen von der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen tragen die Privathaushalte und die nicht bevorzugten Firmen ohne politische Lobby.

H2 soll zudem „durch die Verwendung als Grundstoff weiterer Produktionsprozesse“ auch die Industrie „dekarbonisieren“. Wasserstoff müsse beispielsweise Steinkohlenkoks bei der Erzeugung von Primärstahl ersetzen. Sogar die Zementindustrie könne so dekarbonisiert werden – da das extrem teuer wäre, diskutiert nicht nur die EU-Kommission schon CO2-Zölle für Importe aus Drittstaaten. Doch für all das gibt es in Deutschland einfach nicht genügend „Erneuerbare Energien“, um den riesigen P2G-Bedarf zu decken. Wollte man dies ändern, müßte sich Deutschland, das bereits mit 30.000 Windkraftanlagen „verspargelt“ ist, in einen einzigen Monster-Windpark mit 150.000 bis 200.000 Turbinen verwandeln.

Mehr Sonne und Platz gibt es in Afrika. Darum vereinbarte Ministerin Karliczek mit ihrem Ressortkollegen Yahouza Sadissou aus Niger und dem 2010 mit deutschem Geld gegründeten Kompetenzzentrum zur wissenschaftlichen Unterstützung gegen den Klimawandel und dem Landmanagement in Westafrika (Wascal) eine „strategische Partnerschaft“. Diese soll die Erzeugung von Solarstrom in sonnenreichen Staaten wie Niger oder Mali ankurbeln, der dort in P2G fließt. Angesichts der Wasserarmut in der notorischen Krisenregion eine ambitionierte Planung: 2030 sollen zwölf Millionen und 2050 43 Millionen Tonnen H2 auf noch ungeklärten Wegen zum deutschen Verbraucher gelangen.

Für den Pipelinetransport müßte das Sahara-H2 stark komprimiert, für die Schiffsverladung verflüssigt und kühl gehalten werden – und das ist viel teurer und technisch schwieriger als bei Putins oder Trumps Erdgas (JF 39/20), das hauptsächlich aus den viel größeren Molekülen Methan (CH4), Äthan (C2H5) und Propan (C3H8) besteht. Sicherheitstechnisch ist der H2-Transport in industriellem Maßstab nicht erprobt.

Auch das H2-Tankstellennetz müßte ähnlich dicht geknüpft werden wie das für Benzin und Diesel. Doch nicht einmal für die 2008 von Angela Merkel für 2020 versprochenen eine Million E-Autos auf deutschen Straßen gibt es bis heute genügend Ladestellen – von den entsprechenden Fahrzeugen (2019: 136.617, also 0,3 Prozent von 58,2 Millionen Kfz) ganz zu schweigen.

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