© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Die Täter sind unter uns
Untersuchungsausschuß: Eklat in der Anhörung des geschaßten Gedenkstättenleiters Hubertus Knabe
Werner Becker

Politische Intrige oder Sexismus-Skandal? Seit März versucht ein Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses die Hintergründe aufzuklären, warum der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen rausgeworfen wurde. Im Mittelpunkt zwei durchsetzungsstarke Antipoden: Ex-Direktor Hubertus Knabe und sein einstiger Vorgesetzter, Berlins Kultursenator Klaus Lederer. Der Linkenpolitiker muß sich jetzt des Vorwurfs erwehren, dem Ausschuß wichtige Akten vorenthalten zu haben.

Rückblick: Ende 2016 zeichnete sich nach der Abgeordnetenhauswahl die Bildung eines rot-rot-grünen Senats ab. Als Kultursenator und damit kraft Amtes zugleich als Stiftungsratsvorsitzender der Gedenkstätte war Lederer gesetzt. Kurz vor dessen Vereidigung plädierte Knabe in einer öffentlichen Veranstaltung gegen einen Linken-Kultursenator. In Anwesenheit Lederers. Das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Die Lage spitzte sich zu, als der Senat kurz nach Amtsantritt einen ersten Rücktritt verkraften mußte. Anlaß war die Veröffentlichung der Stasi-Kaderakte von Wohnungsbau-Staatssekretär Andrej Holm, einem einflußreichen Politiker der Links-partei. Der Staatssicherheitsdienst hatte seinem hauptamtlichen Mitarbeiter „Standhaftigkeit, Mut und Klassenstandpunkt“ bescheinigt. Knabe wird vorgehalten, die Stasi-Akte unberechtigt an Journalisten weitergegeben zu haben. Lederers Senatsverwaltung prüfte 2017 monatelang akribisch, wie sie Knabe disziplinarrechtlich belangen könnte. „Eskalationsstufen“ wurden diskutiert. Auf Drängen des Bundes, der die Gedenkstätte neben dem Land Berlin zu 50 Prozent finanziert, wurden die Ermittlungen eingestellt.

Damals hatte Knabe noch Fürsprecher in den Unionsparteien. Doch wurden diese durch den Linksruck der CDU weniger und leiser. Ein Jahr später war es nur noch Fraktionsvize Arnold Vaatz, der Knabe uneingeschränkt unterstützt hat. „Es gibt auch in meiner Partei offenbar das Ziel einer vollständigen Rehabilitation der DDR. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war der Sturz von Hubertus Knabe“, erklärte Vaatz und fügte hinzu: „Die Revolution von 1989 soll kleingehackt werden.“ Wie weit sich die Union von früheren Positionen entfernt hat, illustriert die Reaktion der Fraktionsführung, deren Mitglied der ehemalige Bürgerrechtler ist. Vaatz’ Haltung (siehe unten) wurde zur „Privatmeinung“ herabgestuft.  

Was nicht weiter verwundert, haben in der CDU doch längst Politiker wie Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther das Sagen, der „Offenheit“ der CDU für eine Zusammenarbeit mit der umbenannten SED forderte. Dort wurden die linken Abwege der einst antitotalitären Partei aufmerksam registriert. Dabei erwies sich Lederer als geschickter Taktiker, der im Stiftungsrat das Einvernehmen mit dem Bund, besser gesagt mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) suchte. 2018 waren erneut Vorwürfe laut geworden, in der Gedenkstätte gebe es „strukturellen Sexismus“ gegenüber Volontärinnen. Seinerzeit hatte die Me-Too-Debatte ihren medialen Höhepunkt erreicht, Beschwerden von Mitarbeiterinnen wurden in Lederers Verwaltung begierig aufgesogen. War jetzt endlich die Chance gekommen, den verhaßten Gedenkstättendirektor loszuwerden? Zusammen mit der CDU.

Eingeschränkte Aussagegenehmigung

Jedenfalls ließ der Kultursenator ihn monatelang über die Vorwürfe im unklaren und bereitete hinterrücks dessen Kündigung vor. Dafür wurde ein Drehbuch entworfen, mit dem kürzlich Zeuginnen vor dem Untersuchungsausschuß konfrontiert wurden. Martin Trefzer, Sprecher der AfD im Ausschuß, ist sich sicher: „Lederer hat in der Beschwerde einer Volontärin gegen Knabes Stellvertreter eine Chance gewittert, um Knabe selbst loszuwerden. Der Stiftungsratsvorsitzende hat den Umgang mit den Frauen monopolisiert, um Grütters mit ‘Me-Too’-Argumenten auf seine Seite zu ziehen“. 

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Das Drehbuch gab die Blaupause für den abrupten Rauswurf. Ergebnisoffenheit der Sitzungen? Nein danke. Erst die Kündigung wegen Organisationsverschuldens und Vertrauensverlustes, dann die Abberufung. Und schließlich Hausverbot in der Gedenkstätte, die Knabe als Gründungsdirektor 18 Jahre erfolgreich geleitet hatte. Knabe, so der einstimmige Beschluß des Stiftungsrats, hätte den Beschwerden der Volontärinnen nachgehen müssen. Rechtliches Gehör? Ein halbgares Zwischengutachten der nach Knabes Rauswurf installierten, mit diesem verfeindeten „Beratungsbeauftragten“ Marianne Birthler habe für dessen unwürdigen Abgang im Herbst 2018 herhalten müssen, kritisiert Trefzer.  

Zwei Jahre später steht der „Zeuge Dr. Hubertus Knabe“ vor dem Untersuchungsausschuß, verweigert unter Hinweis auf „eine stark eingeschränkte und juristisch höchst komplizierte Aussagegenehmigung“ seines früheren Dienstherrn Lederer die Aussage. „Um mich nicht strafbar zu machen, bleibt mir heute nichts anderes übrig, als die Aussage zu verweigern.“ Es kommt zum Eklat, die rot-rot-grüne Mehrheit verhängt gegen Knabe eine Ordnungsstrafe in Höhe von 1.000 Euro. Zusätzlich soll er die Kosten der Sitzung tragen. Die Ausschußvorsitzende Sabine Bangert (Grüne) droht ihm weitere „Eskalationsstufen“ an, also Ordnungshaft, sollte er an seiner Aussageverweigerung festhalten. Über die Ordnungsstrafe muß jetzt das Landgericht entscheiden. Neuer Ladungstermin des Ausschusses für den Zeugen Knabe: 3. November.