© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Scheuers Kopf dank Scholz aus der Schlinge
Untersuchungsausschuß II: Daß der CSU-Minister das Maut-Debakel politisch zu überleben scheint, liegt auch an Beißhemmungen der SPD
Paul Rosen

Er habe den Eindruck, daß viel zu schlecht über den Andi Scheuer geschrieben werde, ließ CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am 29. September über seinen Parteifreund und Bundesverkehrsminister eher beiläufig verlauten. Scheuer wird von allen Seiten bedrängt: Die Straßen sind schlecht, die Bahn fährt unpünktlich, der Luftverkehr steht am Boden – und dann noch die vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gescheiterte Maut, das Lieblingsprojekt der CSU im Wahlkampf 2017. Im Maut-Untersuchungsausschuß des Bundestages präsentierten Zeugen am vergangenen Donnerstag zur Freude der Opposition die Behauptung, Scheuer habe eine von der Wirtschaft angebotene Verschiebung der Unterzeichnung des Mautvertrages bis nach dem Urteil des EuGH  über die deutsche Autobahngebühr abgelehnt. Wenn diese Version stimmen würde, hätte der Minister den Bundestag belogen. Denn dort hatte er erklärt, ein solches Angebot habe es nie gegeben.

Regierung war schon         vorher unzufrieden

Wer Dobrindt und die CSU kennt, weiß, daß der kurze Satz eine wichtige Botschaft enthielt: Die CSU steht zu Scheuer, und wenn  in Zeitungen geschrieben wird, der Minister habe gelogen, heißt das noch lange nicht, daß das so stimmt. Es gilt nämlich ein weiterer Grundsatz, den Franz Josef Strauß regelmäßig zu zitieren pflegte: „Audiatur et altera pars“ – zu deutsch: Man höre auch die andere Seite.

Die andere Seite – also Scheuer – widersprach im Untersuchungsausschuß in allen zentralen Punkten den vorherigen Aussagen: „Meiner Erinnerung nach gab es kein Angebot, mit der Unterzeichnung des Vertrages bis nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu warten.“ Zudem sei er fest davon ausgegangen, daß die Klage abgelehnt werde. Scheuers Angaben wurden von seinem früheren Staatssekretär Gerhard Schulz bestätigt. Dagegen hatten Vertreter des Bieterkonsortiums erklärt, am 29. November 2018 den Vorschlag der Vertragsverschiebung bis nach dem Urteilsspruch gemacht zu haben.

Der Vertrag wurde Ende Dezember 2018 doch unterschrieben, offenbar weil Scheuer die Maut spätestens 2020 wollte, und nicht erst im Bundestagswahlkampf 2021. Unmittelbar nach dem Urteil im Juni 2019 wurde der Vertrag vom Verkehrsministerium wieder gekündigt – und zwar (was sehr wichtig ist) auch wegen „Schlechtleistung“ des Konsortiums. Schon früher war die Regierung unzufrieden gewesen. Der Preis sei zu hoch gewesen,  wie Ex-Staatsekretär Schulz deutlich machte: „Wir brauchten nicht mehr Zeit. Wir brauchten ein Angebot, das zuschlagsfähig war.“

Scheuers Motive sind klar: Er wollte die Maut schnell und nicht im Wahlkampf haben. Daß aber auch die andere Seite ein Motiv hat, ist weniger bekannt. Das Konsortium fordert in einem Schiedsverfahren 560 Millionen Euro vom Bund. Für das Verfahren tut der vom Bund erhobene Vorwurf der „Schlechtleistung“ weh, zumal sich bei so einem Mammutprojekt immer etwas finden läßt, was nicht funktioniert oder dem Zeitplan hinterherhinkt. Dem entgegenwirken könnte aus Betreibersicht der Eindruck, man habe den Bund durch das Angebot einer späteren Vertragsunterzeichnung vor hohen Kosten bewahren wollen, die man jetzt aber einfordern müsse.

Der Kampf geht in den sozialen Netzwerken weiter, wo der FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic nach der Sitzung behauptet, „Herr Scheuer hat das Parlament belogen“. Der konterte: „Olli Luksic lügt. Das ist die Wahrheit.“

Nun steht Aussage gegen Aussage, und es müßte eigentlich tiefer gebohrt und vielleicht auch noch ein Kreuzverhör mit Scheuer und Konsortiums-Vertretern geben. Doch da hat überraschend die SPD schon abgewunken, deren Zustimmung erforderlich wäre. Das Motiv für dieses Verhalten nennt der Obmann der FDP im Maut-Untersuchungsausschuß, Christian Jung, ganz deutlich: Die SPD und ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz hätten „unglaubliche Probleme mit dem Wirecard-Ausschuß, und die haben da einen Deal gemacht“, so Jung. Verfahren werde nach dem Motto, die Union lasse Finanzminister Scholz beim Börsenskandal Wirecard in Ruhe und die SPD dafür Scheuer bei der Maut.  

Als wenn es für die Aussage von Jung eines Beweises bedurft hätte, beantragte die SPD im Geschäftsordnungsausschuß des Bundestages, die Mitgliederzahl des Wirecard-Ausschusses von ursprünglich 18 auf neun herabzusetzen. Die Union stimmte zu, die Opposition konnte nichts dagegen machen. Damit ist das Aufklärungspotential des Wirecard-Ausschusses stark reduziert, da jetzt die kleinen Fraktionen weniger Personalkompetenz aufbieten können. Scholz kann aufatmen, Scheuer und Dobrindt können es auch. In der Pressekonferenz des Landesgruppenchefs am 6. Oktober spielte das Thema keine Rolle mehr. 

Wie heißt es so schön im Volksmund? Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.