© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Fritz wird Bürgermeister in Temeswar
Rumänien: Ein zugereister Berliner und ehemaliger Büroleiter von Ex-Bundespräsident Horst Köhler gewinnt eine Wahl im Banat
Paul Leonhard

Im rumänischen Temeswar (Timisoara) wird an alte Traditionen angeknüpft. Mehr als 50 Prozent der Einwohner der drittgrößten Stadt des Landes haben das amtierende Stadtoberhaupt Nicolae Robu von der bürgerlichen PNL abgestraft und den deutschen Staatsbürger Dominic Fritz zum neuen Bürgermeister gewählt. Dieses überzeugende Votum sei „eine unglaubliche Ehre für mich“, sagte der 37jährige, der von der 2016 aus einer Bürgerbewegung hervorgegangenen „Union zur Rettung Rumäniens Plus“ (USR) unterstützt wurde, in akzentfreiem Rumänisch: „Und jetzt schreibt ihr Geschichte, denn zum ersten Mal in der Geschichte wird in Rumänien ein Bürgermeister gewählt, der nicht in Rumänien geboren ist, der keine Wurzeln hier hat.“ Tatsächlich hat Fritz erst im vergangenen Jahr seinen Wohnsitz vom 1.200 Kilometer entfernten Berlin in die 300.000-Einwohner-Stadt in Westrumänien verlegt.

Historisch gesehen haben Deutsche als Bürgermeister in der multinationalen Stadt nahe der ungarischen und serbischen Grenze Tradition. Jahrhundertelang lenkten sie die Geschicke von Temeschburg. Ein abruptes Ende fand diese Geschichte erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Deportation und Vertreibung der Deutschen, die in der Hauptstadt des Banats bis dahin die größte ethnische Gruppe gebildet hatten. Heute leben noch 10.000 Angehörige der deutschen Volksgruppe in Temeswar und Umgebung. Für Fritz ist seine Wahl daher auch die „Fortschreibung der Stadtgeschichte“, die er gern zu einer europäischen machen möchte, zumal Temeswar 2021 den Titel Europäische Kulturhauptstadt tragen wird: „Temeschwar ist eine Stadt, die historisch von Deutschen geprägt wurde – nicht nur von Deutschen, auch von Ungarn, von Rumänen in der Vielvölkerstadt des historischen Banats.“

Temeswar hat in der jüngeren Geschichte mehrfach für internationales Aufsehen gesorgt. So kam es hier 1956 parallel zum Volksaufstand gegen die Kommunisten in Ungarn zu einem Studentenaufstand, der allerdings von den Arbeitern nicht unterstützt wurde, und 1989 war die Stadt blutiger Ausgangspunkt für die Revolution gegen Diktator Nicolae Ceausescu.

Dem 2003 „zugewanderten“ Fritz – damals hat er ein Jahr als Freiwilliger in einem Kinderheim gearbeitet und sich auch fortan in Sozialprojekten engagiert – trauen die Einwohner der Stadt zu, mit Korruption, Vetternwirtschaft und Mißmanagement aufzuräumen, wie es der inzwischen zum Präsidenten aufgestiegene Siebenbürger Sachse Klaus Johannis als Bürgermeister von Hermannstadt (Nagyszeben/Sibiu) vorgemacht hat.

Aufgewachsen mit acht Brüdern in einem Schwarzwalddorf, hat Dominic Fritz von Kind auf gelernt, sich nicht unterkriegen zu lassen, zu kämpfen, zu verhandeln, auch Niederlagen einzustecken und „nach Verbündeten für meine Ideen zu suchen“. Diese dürfte er auch in Temeswar dringend benötigen, wenn der studierte Politik- und Verwaltungswissenschaftler und frühere Büroleiter von Bundespräsident Horst Köhler ohne jegliche praktische Erfahrung mit der rumänischen Verwaltung diese so transparent und modern machen möchte, daß sie selbst für deutsche Städte zum Vorbild wird.