© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Konservative Revolte bei der BBC
Großbritannien: Boris Johnsons Regierung macht dem Rundfunk Druck
Julian Schneider

In der BBC macht sich Unruhe breit. Die mehrheitlich „progressiven“ Journalisten der British Broadcasting Corporation fürchten eine Revolution, diesmal aber eine konservative. 

Zwei Namen wurden genannt für Spitzenpositionen in der Rundfunkanstalt und bei der Medien-Aufsichtsbehörde Ofcom, die BBC-Linke in Angst versetzen: Charles Moore könnte nächster BBC-Aufsichtsratschef werden, hieß es, Paul Dacre künftig die Regulierungsbehörde Ofcom leiten. Beide sind als scharfe Kritiker der Rundfunkanstalt bekannt. Moore, 63 Jahre alt, Autor einer dreibändigen Thatcher-Biographie, Brexit-Befürworter und früherer Herausgeber des konservativen Telegraph, hat die BBC oft als zu links kritisiert. Dacre (71) war langjähriger Chefredakteur der rechtskonservativen Daily Mail. Er hat der BBC „kulturellen Marxismus“ vorgeworfen. Beide sind zudem Dauerkritiker der „Licence Fee“, der gesetzlich festgelegten Rundfunkabgabe.

Tausende fordern: „Defund the BBC“

Beim linken Guardian schrillten die Alarmglocken, nachdem die Sunday Times in einer Titelgeschichte die Nachricht brachte, daß Regierungschef Boris Johnson sich festgelegt habe auf Moore als nächsten BBC-Chairman. 

Das wäre „der Sargnagel für das existierende Finanzierungsmodell“ des öffentlichen Rundfunksystems, warnte der Guardian. Das Anti-Brexit-Blatt The European veröffentlichte eine Doppelseite mit Lamento über den „Krieg gegen die BBC“, der von marktwirtschaftlichen Thinktanks und Konservativen geführt werde. „Auntie BBC“ (Tantchen BBC) sei akut in Gefahr. Am Wochenende nahm sich Moore dann selbst aus dem Rennen und sagte, er stehe für den Posten nicht zur Verfügung. Doch die Unruhe hat sich damit nicht gelegt. Der Strippenzieher hinter der Anti-BBC-Politik ist Dominic Cummings, Johnsons Chefberater in der Downing Street. Er wirft der BBC – wie viele Konservative und Rechte – eine linke Schlagseite vor. Die Stimmung ist so weit verbreitet, daß sich Tausende hinter der neuen Bewegung „Defund the BBC“ versammeln, deren Hauptziel die Abschaffung der Rundfunkgebühr ist. 

Die jährliche Licence Fee beträgt 157 Pfund (knapp über 170 Euro) je Haushalt, der öffentliche Rundfunk nahm damit zuletzt etwa 3,5 Milliarden Pfund (fast 4 Milliarden Euro) ein, drei Viertel seines Budgets. Damit ist die BBC allerdings nicht annähernd so teuer wie das deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunksystem, das aus den Haushalten schon mehr als acht Milliarden Euro erhält.

Charles Moores Ablehnung der Licence Fee ging so weit, daß er sich vor Jahren weigerte zu zahlen – aus Protest gegen einen obszönen Telefonstreich zweier BBC-Comedians, die ihrem Opfer Pädophilie und Inzest unterstellt hatten. Moore wurde 2010 wegen fortgesetzter Nicht-Zahlung der Gebühr zu 262 Pfund Geldbuße verurteilt. Jedes Jahr landen vor den Gerichten bis zu 130.000 Verfahren gegen Nichtzahler, im schlimmsten Fall droht Haft. Die Johnson-Regierung will die Nichtzahlung „entkriminalisieren“, dann könnten der BBC Millionen an Gebühren entgehen. Am Vorgehen der Regierung bei der Besetzung der Medien-Topposten gab es einige Kritik, auch in den Reihen der Konservativen. 

Die Jugend schaut lieber auf Netflix oder Amazon

Der BBC-Chairman und der Ofcom-Posten müssen nach einer öffentlichen Ausschreibung besetzt werden, die noch nich begonnen hat. Daß sich Johnson angeblich schon auf Favoriten festgelegt hat, nahmen ihm einige übel. Johnson und Cummings nehmen die Personalien extrem ernst, sie sind äußerst wichtige medienpolitische Weichenstellungen. Kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag steht die BBC unter Druck. Die Jugend schaut lieber Filme auf Netflix oder Amazon Prime. Das BBC-Publikum überaltert, der Rundfunk muß sparen. In Kürze starten zwei neue TV-Wettbewerber mit eher rechtem Profil: Medienmogul Rupert Murdoch (dem im Königreich die Times und die Sun gehören) baut ein TV-Programm auf, zudem wird ab Neujahr der Sender UK News anfangen mit dem bekannten Ex-BBC-Moderator Andrew Neil. 

Seit Jahrzehnten sind von konservativer Seite Klagen über die linke Schlagseite der BBC zu hören. Zu Thatchers Zeiten war die Labour-Lastigkeit des Programms offensichtlich. Heute tendiert die BBC zur „Wokeness“, kein Tag ohne Diversity und Trans-Agenda. Die Berichte über „Black Lives Matter“ hatten Züge einer Kampagne. 

Der neue BBC-Generaldirektor Tim Davie hat die Gefahr erkannt, daß ein politisch sich exponierender öffentlicher Rundfunk angreifbar ist. Er will unter anderem verbieten, daß Mitarbeiter auf Twitter ihre persönlichen Polit-Vorlieben ausleben. Mehr Neutralität wagen, lautet das Motto.