© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/20 / 09. Oktober 2020

Stilikone: Flaschensammler
Bedienung des Riesenlogo-Hypes: Aldi und Lidl bringen eigene Mode-Kollektionen heraus
Gil Barkei

Einst mußten Aldi-Tüten und ihre Träger für abgehobene wie schlechte Witze herhalten und wurden in der Konsumgesellschaft, in der Luxuslogos als Statussymbole gelten (JF 12/20), belächelt. Mittlerweile ist das große „A“ des deutschen Lebensmitteldiscounters zum Aushängeschild einer zynischen Modewelt geworden, die das vermeintlich „Trashige“ und „Abgefuckte“ feiert – ganz nach einer der „Arm aber sexy“-Hauptstadt zugeschriebenen Beobachtung: „Bei manchen Leuten auf den Straßen Berlins weiß man nicht, ob sie obdachlos oder CEO sind.“

Am 5. Oktober brachte Aldi Nord seine erste Mode-Kollektion auf den Markt: dem Trend der penetranten Riesenlogos folgend, mit Trainingsanzügen, Hüten, T-Shirts, und Kapuzenpullovern komplett in Blau-Weiß und mit XXL-Schriftzug. Die Klamotten sind nicht direkt in den Supermarktfilialen erhältlich. Bei einem Einkaufswert ab 15 Euro können Kunden ihren Kassenbon online hochladen. Die ersten 3.500 Kunden erhalten dann kostenlos zwei Teile, der Rest der „It-Pieces“ wird verlost, solange der Vorrat reicht.

Motto der „Aldi Original Kollektion“: „Egal, was die Leute denken, die Hauptsache ist: Du bleibst du. Also sei du selbst, zeig es der Welt und sag es laut: Ich bin Original!“ Hört sich erst einmal auch nach einem gesellschaftlichen Statement an à la „Schluß mit den Witzen“. Doch dahinter steckt wie bei dem Großteil der haltungsschwangeren Phrasen knallhartes ökonomisches Kalkül. Denn Auslöser für die Aktion waren Instagram-Nutzer, die nach einer Verteilaktion von „Aldiletten“-Badelatschen auf einem Musikfestival noch mehr Merchandising-Produkte forderten. Dankend reagiert der Konzern nun. 

Ähnlich verlief eine Aktion des Konkurrenten Lidl. Auch hier verlangten Kunden in den sozialen Netzwerken nach mehr, nachdem die Supermarktkette in einem Gewinnspiel im April 400 Paar Schuhe in den Firmenfarben verlost hatte und einige Exemplare auf Ebay hohe Weiterverkaufspreise erzielten. Daraufhin wurden im Sommer eigene Turnschuhe ins Sortiment aufgenommen. Die Nachfrage war so groß, daß Lidl nun ebenfalls Shirts, Socken, Badelatschen und Mützen als Teil der „Logomania“ auf den Markt brachte.

Die Lebensverhältnisse werden instrumentalisiert

Bereits 2017 hatte Ikea auf eine „modische“ Steilvorlage reagiert. Nachdem die Luxusmarke Balenciaga die blaue Ikea-Einkaufstasche provokant kopierte und für über 2.000 Euro anbot, sprangen andere Modemarken, aber auch das schwedische Möbelhaus selbst kurzerhand auf den Zug auf und boten eigene Anglerhüte, Bauchtaschen und Stiefel in Ikea-Plastikoptik an. Balenciagas Creative Director, Demna Gvasalia, kreierte für seine eigene Firma Vetements (franz. „Kleidung“) Anziehsachen in DHL-Erscheinung. Anfang dieses Jahres entwarf der Schauspieler Lars Eidinger zusammen mit dem Designer Philipp Bree eine limitierte Ledertasche im Aldi-Tüten-Look für 550 Euro und sorgte für heftige Kritik, als er sich damit für Werbefotos in Obdachlosen-Pose ablichten ließ.

Auch Aldis nun veröffentlichte Original-Linie verdeutlicht kritische Punkte. Mitte September präsentierte Aldi Nord seine Kollektion bereits vorab bei einer „Pop-up-Ausstellung“ mit der Textilkünstlerin Paula Kunkel. Da jeder Besucher drei Kleidungsstücke erhielt, bildete sich vor dem Eingang der Berliner Eventlocation Neuzeit Ost eine lange Schlange, wie man sie heutzutage von Apple-Geschäften kennt. Begleitet wurde Aldis Verlosungsstart von einer aufwendigen, auf „hip“ getrimmten Werbekampagne auf Instagram.

Das Potential einer kritischen Persiflage der Markengeilheit verpufft so angesichts der Marketinginteressen, die vielmehr einen neuartigen pseudo-selbstironischen Logo-Hype erschaffen, um neue Zielgruppen fern der täglichen Kundschaft zu erreichen. Auf die angekündigte Hommage an die „Ruhrgebietsästhetik“ – Aldi hat seine Ursprünge in Essen – folgt keine Auseinandersetzung mit dem Wandel der Lebensverhältnisse; eher wird dieser instrumentalisiert. Die „sozialen“ Medien, die einst mit ihren Influencern verhießen, Reklame persönlicher, realer und nahbarer zu machen, erobern nicht die Wirtschaftsmechanismen, sondern werden einmal mehr von diesen gekapert. 

Übrigbleiben wird das amüsierte Staunen über nicht für möglich gehaltene Werbecoups der Discounter, und eben keine Diskussion über Armut in Deutschland, über Flaschensammler und Rabattcoupon-Ausschneider, über Niedriglohnjobs und Einkommen drückende Wirtschaftsmigration, über die Produktionsbedingungen und die Inhaltsstoffe von Billignahrungsmitteln global agierender Supermarktketten.