© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Lesereinspruch

Von Bismarck gelernt

Zum Schwerpunktthema: „Natürlich eine Nation“ (JF 41/20)

Die Beiträge Dieter Steins und Karlheinz Weißmanns („Des Glückes Unterpfand“) zum Tag der Deutschen Einheit haben mich gefreut, doch mißfielen mir hier zwei Bemerkungen über Helmut Kohl: Weißmann schreibt, daß der Ausgangspunkt unserer Nachkriegsgeschichte die totale Auslieferung des deutschen Volkes an die Siegermächte war. Unter diesen Umständen war nur der Weg der Zusammenarbeit gegen Rückgabe von Souveränität gangbar. Glück im Unglück waren der Ausbruch des Kalten Krieges und Adenauers Parteinahme für die USA. Das war die Schiene, auf der ein Wiederaufleben deutscher Staatlichkeit und schließlich die Wiedervereinigung zu amerikanischen Bedingungen, die unsere Regierung sich zu eigen gemacht hatte, überhaupt möglich war. Daher erschließt sich nicht, wie Helmut Kohl die Einheit durch das Beharren auf Westbindung gefährdet haben sollte. Hätte Kohl anders entschieden, wäre ihm der einzige Verbündete, der die Einheit auch im eigenen Interesse wirklich wollte und durchsetzen konnte, abhanden gekommen. Entsprechend ist auch Kohls diplomatisches Dementi gegenüber Andreotti zu verstehen.

Wilhelm Hacke, Witten