© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Ländersache: Hessen
Der Wald und die eigene Blase
Paul Leonhard

Danni muß bleiben“, lautet die Parole der zum Aktionsbündnis „Keine A49!“ zusammengeschlossenen Umweltinitiativen. Seit Anfang Oktober hat der Kampf für den Erhalt des Dannenröder Forsts in Nordhessen neuen Schwung bekommen. Auf beiden Seiten. Während Polizisten die Protestierer von den besetzten Bäumen holen, genervte Autofahrer angesichts blockierter Autobahnen nach Umleitungsstrecken suchen und Hessens Linke die janusköpfigen Grünen attackieren, haben Baumfäller jüngst 8,5 Hektar Wald gerodet, also ein Zehntel des für den Bau der Autobahn 49 benötigten Areals.

Daß derart schnell Tatsachen geschaffen werden, hat vor allem den hessischen Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kalt erwischt, auch wenn, wie Landeschef Jörg Nitsch einräumt, sich der Beginn der Arbeiten „in den letzten Tagen leider immer deutlicher angekündigt“ habe. Er sei bestürzt, daß man „in Zeiten der Klimakrise und des Waldsterbens 2.0 einen gesunden und alten Mischwald für eine Autobahn“ rode.

Das klingt eher resigniert. Aber irgendwie ist Nitsch zu verstehen. Immerhin kämpft der hessische BUND seit fast 40 Jahren gegen die Verwirklichung der A 49. Und erst in diesem Juni hat man eine herbe Niederlage einstecken müssen, als das Bundesverwaltungsgericht eine Klage der Organisation vom Tisch wischte. Aber was ist mit den einstigen Verbündeten der Naturschützer, den hessischen Grünen? Interessieren sich diese, seit sie zusammen mit der CDU das Land regieren, nicht mehr für alte Wälder und bedrohte Tierarten wie im konkreten Fall die Bechsteinfledermaus? Tarek Al-Wazir beispielsweise war ein Gegner des Autobahnbaus – bis er seinen Eid als Minister für Wirtschaft und Verkehr leistete. Jetzt fühlt sich der Grüne verpflichtet, Beschlüsse aus Berlin umzusetzen. Und dazu gehört eben die Rodung von Bäumen und die Vernichtung von Lebensraum geschützter Tiere. Ganz anders sein Parteifreund Michael Kellner. Denn der Bundesgeschäftsführer der Grünen war ins Protestcamp im Dannenröder Forst geeilt, um seine Solidarität zu bekunden und die Union zu beschimpfen.

Ausgerechnet die Linke, also jene Partei, die zu ihren Regierungszeiten ein ökologisch verwüstetes Land zwischen Saßnitz und Zittau schuf, wirft den Grünen nun eine „Doppelmoral“ vor, schickt „viele Grüße in den Wald“ und wünscht „viel Erfolg bei den Protesten“. Aber auch die Sympathiekundgebungen der Hessen-Linken sind heuchlerisch. Denn sie hatten 2008 verkündet, im Fall der Bildung einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen diese unterstützen zu wollen, obwohl beide für den Autobahnbau waren. Letztlich gibt es keine einzige Partei im Hessischen Landtag, die wegen des Erhalts alter Buchen und Eichen auf Regierungsverantwortung verzichten würde.

Das Dilemma der Grünen faßt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in einem Satz zusammen: „Grüne, wenn sie Wahlen gewinnen wollen vs. Grüne, wenn sie Wahlen gewonnen haben.“ Nur Klingbeils Fazit ist falsch: „Man kann nicht gegen sich selbst demonstrieren.“ Die Grünen können das. Denn wie sagte der grüne Minister Al-Wazir: „Irgendwann kommt der Moment, in dem man sich der Tatsache stellen muß, daß die Welt nicht nur aus der eigenen Blase besteht.“