© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Der Traum ist aus
Von Anarchisten besetztes Haus in Berlin: Die JF war bei der polizeilichen Räumung dabei. Eine Reportage
Martina Meckelein

Staubgeschwängerte Luft bricht sich in den Scheinwerferkegeln der Kameras, die die Journalisten in den stockdunklen Flur halten. Es ist feucht und kalt. Es stinkt nach Fäulnis. Links, hinter der zweiten, jetzt ausgehängten, Zugangstür, liegt eine männliche Schaufensterpuppe ohne Kopf und Arme. In deren Brustkorb stecken lange Brotmesser. Im Hinterhof stapeln sich Bauschaumteile, Maschen- und Stacheldrahtrollen, schwere Holzbohlen, Propangasflaschen, Benzinkanister, leere Bierkästen. Auf der Ziegelmauer, die dem Müllplatz Grenzen setzt, sind Glassplitter und Metallspitzen einbetoniert, alles mit Stacheldrahtverhau abgesichert.

So sieht es also in der „anarcha-queer-feministischen“ anti-cis-Männer-Schutzzone Liebigstraße 34 aus, Berlin-Friedrichshain. Wenn die Wohnung der Spiegel der Seele ist, blickt man in diesem Haus in den Abgrund, der sich Linksextremismus nennt. Am Freitag wurde endlich, nach 30 Jahren, dieses Haus von diesen Frauen befreit.

„Ganz Berlin haßt die Polizei“, brüllen gewaltbereite Radikale früh morgens um 6 Uhr hinter den schweren polizeilichen Gittern, die weiträumig das Haus an der Liebig-, Ecke Rigaer Straße absperren, und „Bullenschweine raus aus den Kiezen“. Stoisch ertragen die Beamten die Beleidigungen. Sie sichern den sogenannten Dorfplatz, den Kreuzungspunkt beider Straßen. Dann fliegen erste Flaschen und Steine. Rangeleien. Eine freie Autorin, die eine Dokumentation über die „Mädels“ macht, sinniert beim Anblick der Wurfgeschosse: „Hier stehen wir schon in der Mausefalle, wenn was passiert.“ Ja, wenn was passiert, bekommen Journalisten die Flaschen dieser Mädelsunterstützer auf den Kopf. Deshalb tragen auch viele Helme. 

Polizisten angegriffen und Autos abgefackelt

Das ist keine Feigheit, sondern Gefahreneinschätzung. Linke Extremisten aus dem Wohngebiet terrorisieren seit Jahren die Nachbarschaft. So veröffentlichten sie deren Namen, Adressen und Telefonnummern im Internet, weil diese den Notarzt alarmierten, weil eben diese Gewalttäter einen Passanten zusammengeschlagen hatten. Und während die Chaoten noch auf Demonstrationen schrien: „Wir sind friedlich, was seid ihr?“, griffen sie mit Steinen Polizisten und Feuerwehrleute an, brannten Autos ab. Sie fotografierten Journalisten während ihrer Recherche, nahmen den Verängstigten deren Presseausweise ab. Politiker mußten, während sie dort Interviews gaben, flüchten. In den Tagen vor der Räumung verübten Saboteure Brandanschläge auf einen Kabelschacht des Berliner S-Bahnrings – über Tage ist die Infrastruktur unterbrochen. Sie griffen zuvor ein Polizeirevier und ein Gericht an. Bekennerschreiben veröffentlichten sie darüber im Internet. Die Polizei rüstet deshalb auf. Angeblich sollen 5.000 Beamte die Räumung sichern, melden mehrere Lokalzeitungen vorab. Diese Zahl dementiert Polizeisprecher Thilo Cablitz vor Ort gegenüber der JF: „Es sind 1.500 über das ganze Stadtgebiet verteilt.“ Sie sollen abends noch gebraucht werden.

Doch an diesem Freitag morgen gibt es auch Nachbarn, die sich mit den Bewohnern solidarisieren. „L34 STAYS“ steht auf einem schwarzen Laken, das an einem Balkon flattert. Darunter baumelt ein Spitzen-BH. Als die Polizei mit schwerem Räumgerät auffährt, wummert aus einer Wohnung „Spiel mir das Lied vom Tod“, die Titelmusik des Westernklassikers von Sergio Leone. Ein ohrenbetäubender Lärm dringt aus den Wohnungen und von der Straße: Die Randalierer schlagen mit Löffeln und Latten auf Töpfe und Mülltonnendeckel. Am Vormittag ist deren Zahl laut Polizei auf 1.000 angestiegen.

Das „feministische Hausprojekt Liebig 34“ hatte über einen Verein im Jahr 2008 einen Gewerbemietvertrag mit dem Eigentümer der Immobilie abgeschlossen. Doch der war schon vor zwei Jahren ausgelaufen und nicht verlängert worden. Die Miete wurde kaum noch gezahlt. Die Sache „Liebig 34“ ging vor Gericht. Das Landgericht Berlin entschied im August, daß das Haus an den Eigentümer, den Immobilieninvestor Gijora Padovicz, übergeben werden muß.

Alle warten auf den Gerichtsvollzieher

Linke und Grüne in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg verfaßten noch im Juni eine gemeinsame Resolution zu dem besetzten Haus. In ihr ist zu lesen, das Haus sei „ein einzigartiger Schutzraum für Frauen*, Lesben, inter, non-binary und trans Personen“. Sie appellierten „noch einmal an den derzeitigen Eigentümer der Immobilie, die Unternehmensgruppe Padovicz, den ausgelaufenen Pachtvertrag zu verlängern“. Der Eigentümer selbst steht unter Polizeischutz, so der RBB.

An diesem Freitag morgen warten nun alle auf den Gerichtsvollzieher, der das Haus übernehmen soll. Die Beamten leisten Amtshilfe für den zuständigen Gerichtsvollzieher. „Idealerweise öffnet um 7 Uhr jemand die Haustür und übergibt uns den Schlüssel“, sagt Cablitz lakonisch.

Polizei muß sich mit Rammen Zutritt verschaffen

Doch wie erwartet ist das Haus verbarrikadiert, der Gerichtsvollzieher braucht Hilfe. Um 7.12 Uhr werden Gas, Wasser und der Strom unterbrochen. Mit Motorsägen, Hydraulikscheren, Trennschleifern und Rammen verschaffen sich die Beamten Zutritt. Ein Hubschrauber kreist über der Szene. Sogar eine zentnerschwere Stahl-Falltür müssen die Beamten mit Hydraulik hochstemmen. Es dauert viele Stunden, bis die Polizei die 57 Besetzer aus dem Haus geführt hat, teils über eine Leiter. Die Reihen der Linksradikalen lichten sich. Bis 17 Uhr kommt es durch die Polizei zu 98 sogenannten Freiheitsentziehungen beziehungsweise Freiheitsbeschränkungen, unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Elf Polizisten werden verletzt.

Schon vier Stunden später dann neue Krawalle: Die Demonstration „Stadtpolitik – Wohnraum für alle“ beginnt um 21 Uhr am Monbijouplatz in der Stadtmitte. 1.700 hochaggressive und schwarzvermummte Linksextreme randalieren, schlagen wahllos zahllose Schaufensterscheiben ein, setzen Autos in Brand. Der Spuk endet erst um 0.30 Uhr in der Eberswalder Straße. Auch aus einer „spontanen Ansammlung von rund 500 Personen in der Linienstraße heraus“, so die Polizei, „kam es unter anderem mehrfach zum Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände sowie zu Stein- und Flaschenwürfen auf Einsatzkräfte der Polizei.“ Bilanz: Zwölf abgebrannte Autos, zahllose zerstörte Auto- und Schaufensterscheiben, sieben verletzte Beamte, 34 Freiheitsbeschränkungen und 37 Strafermittlungsverfahren.

Doch die Gefahr ist damit nicht gebannt. Schon in der Nacht ist auf indymedia zu lesen: „Wir sind wütend! Wir wurden angegriffen! Wir wollen das nicht weiter hinnehmen, wir gehen in die Offensive. Die Räumung der Liebig34 hat wieder einmal gezeigt, daß das Interesse des Staates an der Vermögensvermehrung von Immobilienunternehmen größer als das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und alternativen Lebens ist.“ Der Wutausbruch endet mit den Worten: „Von Dresden nach Berlin – interkiezionale Solidarität. Getroffen hat es diesmal einen, gemeint sind sie alle, wir haben gerade erst angefangen – Dresden wird brennen!“

Die linke taz hingegen beschäftigt sich, eher im Alleingang, mit der Veröffentlichung der Fotos aus dem Inneren des Gebäudes in der Öffentlichkeit, vor allem in den sozialen Medien. Unter der Überschrift: „An der Grenze zur Pornographie“ behauptet sie: „Die Polizei präsentiert der Presse die geräumte Liebig 34 als ‘Drecksloch’. Ein ekelerregender Verstoß gegen das Recht auf Privatsphäre.“ Was sagte noch die Autorin am Räumungsmorgen über die „Mädels“ aus der Liebigstraße? Richtig: „Sie haben eben schlechte Pressearbeit gemacht.“ So kann man es auch sehen.