© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

„Viele dieser Leute leiden unter zerstörerischem Selbsthaß“
Gespräch mit einem ehemaligen West-Berliner Hausbesetzer, der 1990 als erster in die Liebigstraße 34 einzog: „Ganze Straßenzüge im Osten waren leergezogen“
Martina Meckelein

Edmund Piper war als junger Mann in der West-Berliner Hausbesetzerszene aktiv. Als der 51jährige die Bilder aus der ehemals Ost-Berliner Liebigstraße 34 sah, wollte er es kaum glauben: „Dieses Haus habe ich als erster 1990 besetzt.“

Herr Piper, wie kam es dazu, daß Sie Hausbesetzer wurden?

Edmund Piper: Ich war ein Linker. Wir lebten in Wohngemeinschaften. Damals, in der Wendezeit, wohnte ich in Charlottenburg. In so einem besetzen Haus zu leben, war schon eine bewußte Entscheidung, denn es ging ja auch um einen alternativen Lebensentwurf. Ich begann damals gerade mein Sozialpädagogik-Studium und konnte immer ein paar Studi-Jobs machen. Als wir für das besetzte Haus mal Plakate drucken wollten, um ein Soli-Konzert zu organisieren, wurden wir sogar von der SEW, der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, unterstützt. Die gaben dem Kollektiv das Geld cash. Wir hatten also durchaus gute Startmöglichkeiten, um ein wirklich cooles Projekt aufzuziehen. Es zeichnete sich allerdings schnell ab, daß so was in einer von Linksradikalen dominierten Szene nicht zu machen war.

Woran machten Sie das fest?

Piper: Um aus der Remise auszuziehen, bot uns der damalige Baustadtrat als Alternative tatsächlich ein Haus in Moabit an, um dort unser soziales Experiment umzusetzen. Was für eine Chance! Ich freute mich über das Angebot und die damit verbundenen Möglichkeiten. Aber dann kam es zu Diskussionen unter den Besetzern: „Keine Zusammenarbeit mit Faschoverbrechern, keine Kollaboration mit dem Schweinesystem.“ Es gab eine Abstimmung, und von 20 Bewohnern waren zwölf dagegen, das Angebot anzunehmen. Also wurden wir kurz darauf von der Polizei geräumt, und ich brauchte eine neue Wohnung. Die mietete ich mir erst mal am Ostkreuz. Das wurde allerdings zum Sicherheitsrisiko. Denn dort trafen sich regelmäßig Fascho-Hooligans und Schlägertypen. Die schlugen auf jeden ein, der irgendwie auch nur ein bißchen links aussah. Ich wollte dann um die Ecke in die besetzte Mainzer Straße ziehen. Da war aber schwer etwas zu kriegen. Denn Besetzer wollen halt nicht gern teilen.

Wie war grundsätzlich die Situation?

Piper: Sie müssen sich vorstellen, daß 1990 im Osten ganze Straßenzüge leergezogen waren. Die alten Bewohner hatten in den Westen rübergemacht. Die KWV, die Kommunale Wohnungsverwaltung der DDR, die die Häuser verwaltete, gab es nicht mehr. Man konnte also einfach einziehen. Und so kam es, daß auch viele Linke aus West-Berlin in die Mainzer und Umgebung zogen. Zumindest in West-Berlin gab es auch noch Streetgangs. Da hieß es dann nicht nur Faschos gegen Linke, sondern auch Moslem-Migranten gegen Linke. Die hatten mit linker Soziokultur nichts am Hut.

Wie kamen sie zur Liebig 34?

Piper: Ich hängte Zettel aus und sprach Leute an, daß ich ein Haus besetzen will und bin dann durch die Straßen gelaufen und entdeckte ein passendes Objekt in der Liebigstraße. Das Haus Nummer 34 stand leer. Es schien mir als Szeneobjekt passend, weil es im Erdgeschoß Raum für ein Café bot. Das war alles im Frühjahr oder Sommer 1990. Ich bin dann mit einigen Besetzern eingezogen. Die Fenster im Erdgeschoß haben wir sofort gegen diese marodierenden Neonazi-Truppen vergittert und am ersten Treppenabsatz eine Falltür eingebaut.

Wie würden Sie dieses Milieu heute beschreiben?

Piper: Es gibt in der Szene einen nicht unbeträchtlichen Anteil von Radikalen. Das Unangenehme ist, daß sich diese Leute bevorzugt in den oft recht offenen linken Strukturen einnisten und dort sehr laut, dominant und unverschämt unterwegs sind. Viele dieser Leute leiden unter zerstörerischem Selbsthaß und sind von Aggressivität getrieben, die auch autoaggressive Züge trägt. Es sind sicherlich etliche Psychosen unterwegs. Und wenn ich mir heute die Fotos aus der geräumten Liebig 34 anschaue, kann ich nur den Kopf schütteln. Was hätten diese Leute im Zeitraum von 30 Jahren nicht für ein tolles Projekt aufbauen können? Aber nein, sie haben’s bis zum Ende hin konsequent total verkackt.