© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Jacinda ist beliebter denn je
Neuseeland vor der Parlamentswahl: Die Labour-Kandidatin Ardern will die 50-Prozent-Marke knacken
Liz Roth

Jacinda Ardern besitzt als Premier Neuseelands, einem der abgelegensten Länder der Welt mit nur fünf Millionen Einwohnern, ein überdimensionales Profil. Sie zierte die Titelseiten der Magazine Vogue und Time und war Gastgeberin für den US-Fernsehstar Stephen Colbert.

Während ihrer dreijährigen Amtszeit sorgte sie für Schlagzeilen – als ungewöhnlich junge Premierministerin, als junge Mutter, die ein Land führt, für einen einfühlsamen Umgang mit den Anschlägen auf die Moscheen in Christchurch und in jüngster Zeit für das schnelle und wirksame Vorgehen gegen die Coronavirus-Pandemie.

Jetzt wird wieder gewählt, und Ardern ist im Volk beliebter als je zuvor. „Sie wird auf unterschiedliche Weise als Schwester, beste Freundin oder Mutter eines jeden Wählers gesehen“, erklärt der neuseeländische Kommentator Ben Thomas. Laut Umfragen genießt Ardern nach drei Debatten mit ihrer Herausforderin 50 Prozent Zustimmung, während Judith Collins nur 23 Prozent der Neuseeländer für sich gewinnen kann. 

Wahlbeobachter sehen keine Chance für die zurückhaltende Judith Collins von der konservativen Nationalpartei, deren Wahlkampf sich auf Wirtschaft, Jobs und weniger Staatsschulden fokussiert. Laut Reuters kann Arderns Labour Party am Samstag 60 der 120 Sitze im Parlament von Wellington gewinnen, einen Sitz fern der absoluten Mehrheit. Momentan hat ihre Partei 46 Sitze. Die Konservativen hatten 2017 zwar 56 Sitze gewonnen, allerdings waren sie nicht in der Lage, einen Koalitionspartner zu finden, um eine Regierung zu bilden. Ardern ging am Ende ein Bündnis mit den Grünen von links und New Zealand First von rechts ein und sicherte sich somit den Job als Regierungschefin.

Ardern punktet mit ihrem Einfühlungsvermögen

„Die Mehrheit der Neuseeländer will nicht von einer Regierung der extremen Linken regiert werden, die glaubt, daß Steuern Liebe sind“, argumentiert Collins. Ardern trägt den Spitznamen „Taxcinda“, da sie und die Labour Partei eine  Neigung zur Besteuerung haben. „Sie zeichnet sich in Krisenzeiten sicherlich aus“, so Thomas. „Was wirklich gebraucht wurde, war der Ausdruck von Einfühlungsvermögen. Ihr Einfühlungsvermögen ist sehr echt, und sie kann es wahrscheinlich effektiver vermitteln als jeder andere auf der Weltbühne.“

Dennoch hat Jacinda Ardern in vielen Punkten nicht geliefert und die Staatsausgaben in die Höhe getrieben, was Collins immer wieder hervorhebt. Die südlichen Vororte der Metropole Auckland sind weiterhin die Sorgenkinder des Landes. Deren Bewohner, mit überwiegend polynesischer Herkunft, leiden unter  Armut und Obdachlosigkeit. Auch in drei Jahren Ardern und ihrem Versprechen, die Armut im Land auszulöschen, hat sich die Lage nicht verbessert. Auch den großen Plan, in zehn Jahren 10.000 qualitativ hochwertige, erschwingliche Häuser zu bauen, um Obdachlosigkeit zu bekämpfen und den überhitzten Immobilienmarkt zu dämpfen, hat die Regierung 2019 aufgeben.