© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Der Richtungsstreit ist programmiert
Österreich: Das Wahldebakel bei der Wien-Wahl erschüttert die FPÖ bis ins Mark / Sozialdemokraten wittern Morgenluft
Josef Hämmerling

Die FPÖ ist der große Verlierer der Wiener Landtagswahl. Nach dem vorläufigen Endergebnis stürzten die Freiheitlichen von 30,8 Prozent  Prozent auf magere 8,9 Prozent ab. Zerknirscht gestand FPÖ-Fraktionschef Herbert Kickl die herbe Niederlage ein. „Das Wahlergebnis in Wien ist mehr als bitter. Dieser enorme Verlust an Vertrauen schmerzt unendlich. Die Arbeit ganz vieler über einen langen Zeitraum ist zunichte gemacht.“ 

Jeder Versuch, das schönzureden, sei zum Scheitern verurteilt, so der ehemalige Innenminister. Nicht die anderen Parteien hätten die Freiheitliche Partei diesmal besiegt, sondern die FPÖ selbst habe dieses Geschäft ihrer Gegner erledigt. Deshalb, so Kickl weiter, könne der Erfolg der Zukunft auch nur aus der Partei selber kommen: „Die Schlüssel dazu heißen Arbeit, Bodenhaftung, Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit.“

Kritik an der FPÖ-Doppelspitze  

Öl ins Feuer goß die Tageszeitung oe24. In der FPÖ sei nach dem Wahldebakel „ein heftigen Richtungsstreit“ entbrannt, so das Blatt. Demnach sollen mehrere FPÖ-Landeschefs den Rücktritt des Wiener FPÖ-Vorsitzenden Dominik Nepp, vor allem aber die Demission des FPÖ-Vorsitzenden Norbert Hofer fordern. Sein Nachfolger als Parteichef soll der bisherige Generalsekretär Michael Schnedlitz werden. 

Hofer selbst nannte in einer ersten Reaktion den oe24-Bericht „frei erfunden“. Ganz so einfach scheint es aber nicht zu sein. Hatte doch schon FPÖ-Niederösterreich-Chef Udo Landbauer erklärt, die FPÖ könne „nicht weitermachen wie bisher“.

Dies sieht auch die Wiener FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel so. Im Interview mit der Tageszeitung Österreich forderte sie als erste ranghohe FPÖ-Politikerin ein Ende der Doppelspitze Hofer-Kickl: „Doppelt gemoppelt ist immer schlecht, das hat in Wien schon bei Strache-Nepp nicht funktioniert. Jetzt sind wir im Tal der Tränen gelandet. Darüber kann man nicht hinwegsehen.“ Vor allem aber müsse die FPÖ schonungslos analysieren, was in Wien passiert sei.

Jubel dagegen bei Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und seiner SPÖ,   die sich leicht um 3,48 Prozentpunkte auf 43,07 Prozent verbesserte.

Größter Gewinner der Wahlen ist die ÖVP, die ihren Stimmenanteil um 9,25 auf 18,49 Prozent verdoppeln konnte. Kanzler Sebastian Kurz bewertete den achten Zuwachs in Folge bei Landtagswahlen als Bestätigung des „türkisen Wegs“ der ÖVP. Der Wiener ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel bezeichnete das Ergebnis als „Sensation und Wahnsinn“, man stehe „selbstverständlich für Koalitionsverhandlungen bereit.“ Obwohl der Zuwachs der Grünen um 0,38 Prozentpunkte auf 12,22 Prozent unterhalb der Erwartungen der meisten Wahlvorhersagen blieb, sieht die grüne Spitzenkandidatin Birgit Hebein einen „ganz klaren Auftrag“ für die  Fortsetzung der rot-grünen Koalition. Als einzige weitere Partei schafften die liberalen NEOS mit 6,92 Prozent (2015: 6,16 Prozent) den Sprung in den Wiener Landtag. 

Diesen verpaßt womöglich Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein  Team HC. Die Partei des früheren Vizekanzlers kam nur auf 4,32 Prozent und scheiterte damit an der 5-Prozent-Klausel.