© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Als Geschenkartikel dekorativ verpackt
Eine Lektüre ohne Risiken und Nebenwirkungen: Jürgen Kaubes Hegel-Biographie
Wolfgang Müller

Kurz nachdem er als Nachfolger Frank Schirrmachers ins Herausgeber-Gremium der FAZ aufgerückt war, erhielt Jürgen Kaube 2015 den Ludwig-Börne-Preis. Gewürdigt wurde damit sein Talent, „die wissenschaftliche Kultur in begriffsnaher Zuspitzung in den öffentlichen Raum“ tragen zu können und dabei, wie der radikaldemokratische Polemiker Ludwig Börne (1786–1837), „mit scharfen Urteilen“ nicht zu geizen.

Ob der Pykniker Kaube überhaupt je vom Angriffsgeist des schwindsüchtigen Asthenikers Börne befeuert wurde? Wenn ja, hat er sich ausweislich seiner pünktlich zum 250. Geburtstag vorgelegten Biographie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (JF 36/20) jedenfalls so rückstandslos verflüchtigt wie der „konservative“ Geist seiner jetzt für die Grünen als die bessere Union werbenden „Zeitung für Deutschland“. 

Zugegeben, es ist angesichts einer turmhohen Hegel-Literatur nicht leicht, über den „Stenographen des Absoluten“ (Sebastian Ostritsch) noch eine grundlegend neue Deutung zu präsentieren. Aber das wäre ohnehin Sache der Forschung, nicht Aufgabe einer Darstellung, die Hegel eben populärwissenschaftlich im „öffentlichen Raum“ vermitteln möchte. Vielmehr wäre von ihr zu erwarten, daß sie Leben und Werk dieses „toten alten weißen Mannes“ am Leitseil der Frage traktiert, was uns „Hegels Welt“ noch angeht. Darauf kann man wie Klaus Vieweg, der auf Geschichtsfälscher-Niveau Hegel als Menschenrechtsanwalt und One-World-Ideologen verkauft (JF 36/20), zwar eine absurd falsche Antwort geben. Immerhin aber ist das eine respektabel „zugespitzte“ Position, die zum Streit über die Aktualität des „Denkgiganten“ (Vieweg) herausfordert. 

Hegel war weder Kosmopolit noch Demokrat

Hingegen provoziert Kaubes bundesdeutsch neutralisierter Hegel niemanden mehr. Lustlos klappert der heuer „scharfer Urteile“ abholde, auf regierungsfrommen Konformismus vereidigte FAZ-Herausgeber Hegels Karrierestationen ab, von der Jenaer Privatdozentur bis zum Lehrstuhl an der Berliner Universität, wo er sich seit 1818 als  preußischer Staatsphilosoph profilierte. Ebenso ächzend quält er sich, wacker nacherzählend, durch das hochkomplexe Werk, wagt sich sogar an „das schwierigste Buch der Welt“, die „Wissenschaft der Logik“ (1812/16). Die Ausbeute ist mager. Denn es zeichnet sich kaum schemenhaft ab, wie präzise der enzyklopädisch ambitionierte Theoretiker Hegel auf den „Ordnungsschwund“ (Hans Blumenberg) reagiert, den er als Zeuge politisch-ökonomischer, das alteuropäisch-christliche Welt- und Menschenbild erschütternder Umwälzungen erlebt. Unerklärlich daher, warum eigentlich Hegels in die Sprache der Philosophie übersetzte Zeitdiagnosen, etwa die Analyse des bürgerlich-kapitalistischen „Systems der Bedürfnisse“,  über Karl Marx hinaus bis zu Lenin und Mao, eine weltpolitische Dynamik entfalten konnten. 

Kein Wort auch darüber, daß wer sich in Hegels Welt ohne den Sherpa Kaube vortastet, dort überall eine Gegenwelt zum Überbau der Berliner Republik entdeckt. Hegel war nämlich weder Kosmopolit noch Demokrat, Liberaler oder Pazifist, sondern ein Verächter all dieser Varianten einer aus dem „Brei des Herzens“ gemixten „Gefühlspolitik“, die lediglich „ein freundliches Gesicht zeigen“ (Angela Merkel) will. 

Abgestorbener Sinn für das Historische

Ein rundgeschliffener Hegel, dekorativ als Geschenkartikel verpackt, ist daher nur noch im Kleingedruckten ein Ärgernis. So in „abenteuerlichen Urteilen“ über Afrikaner, denen seine Geschichtsphilosophie ihr Schicksal, zu Objekten der Sklaverei geworden zu sein, als Strafe für ihren Kannibalismus selbst in die Schuhe schiebe. Solcher „Rassismus“ sei für eine Philosophie, die alles auf Wissen setze, „mehr als peinlich“. Im Gegenzug hält der nicht korrekt zitierende Kaube ihm zugute, erkannt zu haben, daß sich die Griechen Homers mit Einwanderern vermischt hätten – allerdings mit ihnen kulturell überlegenen „gebildeten Völkern“, wie es in den „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ wörtlich heißt –, um daraus die kühne These abzuleiten, für Hegel beruhe „das Politische“ nicht auf der „Souveränität eines irgendwie als homogen definierten Volkes“. Das zeugt von so abgestorbenem Sinn fürs Historische wie die Leugnung einer Schnittmenge zwischen Hegels Staatsphilosophie und dem Totalitarismus des 20. Jahrhunderts. Wer diese Linie ziehe, wie die von Kaube hier verschwiegene FAZ-Hausikone Ernst Cassirer (1874–1945), schreibe mit an einer „Groteske der Ideengeschichte“.

Um Hegel aus diesem Umfeld zu evakuieren und für den „Kampf gegen Rechts“ zu vereinnahmen, betont Kaube reflexhaft dessen Feindschaft gegen den „Antisemiten Fries“. Aber der Hyperrationalist Hegel lehnte Jakob Friedrich Fries (1773–1843) nicht als Judengegner, sondern als Verfechter eines demokratischen Nationalismus sowie als Irrationalisten ab, dessen System im  „reinen Gefühl für das Ewige“ wurzelte. Trotzdem führt von Fries ein kürzerer Weg ins „beste Deutschland, das es je gab“, als von Hegel. Beeinflußten die „Neufriesianer“ aus dem Schülerkreis des jüdischen, sozialistischen Kantianers Leonard Nelson (1882–1927) doch entscheidend das „Godesberger Programm“ (1959) der SPD. 

Jürgen Kaube: Hegels Welt. Rowohlt Berlin, 2020, gebunden, 592 Seiten, 28 Euro