© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Zu alt fürs Weltall
Tragikomödie: „Astronaut“ von Shelagh McLeod mit Richard Dreyfuss
Claus-M. Wolfschlag

Das Thema der alternden Bevölkerung in der westlichen Hemisphäre ist längst auch in der Kinowelt angekommen. In der Tragikomödie „About Schmidt“ (2002) spielte Jack Nicholson einen nach der eigenen Pensionierung und dem plötzlichen Ableben der Ehefrau aus der Bahn geworfenen Mann, der sich auf einen bizarren Road Trip begibt. In „Gran Torino“ (2008) schlüpfte Regisseur Clint Eastwood selbst in die Rolle eines pensionierten Kriegsveteranen, der als einer der letzten die traditionellen Ideale aufrechtzuerhalten versucht. Bemühungen seiner Verwandten, ihn in ein Altersheim abzuschieben, widersetzt er sich rauhbeinig. In dieser Situation geht er offensiv in den Konflikt mit einer Straßengang.

2013 verfilmte Felix Herngren den Bestsellerroman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ des schwedischen Schriftstellers Jonas Jonasson. Darin wird ein rüstiger Hundertjähriger in ein Altenheim zwangseingewiesen, der aber kurz vor seiner Geburtstagsfeier aus dem Fenster klettert und mit dem Bus ins Ungewisse fährt. Auch in Deutschland ist das Thema angekommen. So spielte Dieter Hallervorden 2014 in Til Schweigers Tragikomödie „Honig im Kopf“ einen an Alzheimer Erkrankten, der der Einweisung in eine Pflegeeinrichtung durch eine Italienreise mit seiner elfjährigen Enkelin zuvorkommt.

Das Motiv vieler dieser Filme über das Alter ist ähnlich. Der Weg in Pflege und stationäre Betreuung wird als großenteils künstlich erzwungenes Ende der Selbstbestimmung gesehen, gegen das sich die Protagonisten durch allerlei subversive Querschüsse zu wehren versuchen. Das hat natürlich eher wenig mit einer realistischen Beurteilung der Lage und der heranrollenden Welle an dementen und pflegebedürftigen Senioren zu tun. Ein solch tragikomischer Umgang mit dem Thema mag aber beim Kinopublikum dazu beitragen, die eigenen Sterbensängste zu mildern.

Der Traum scheint zum Greifen nah

Das ist grundsätzlich bei Shelagh McLeods „Astronaut“ nicht anders. Schon der deutsche Untertitel „Es ist nie zu spät, nach den Sternen zu greifen“ deutet das an. Geschildert wird die Geschichte des ehemaligen Straßenbauingenieurs Angus (Richard Dreyfuss), der nach dem Tod seiner dementen Frau von seiner überschuldeten und überforderten Tochter in eine, wenn auch idyllische, Seniorenwohnanlage gebracht wird.

Angus hat nun nichts mehr zu tun, als sein verstaubtes Teleskop herauszukramen und die Sterne zu beobachten. Dabei erinnert er sich an seinen längst abgeschriebenen Jugendtraum, Astronaut zu werden.

In dieser Situation macht ihn sein kleiner Enkel Barney (Richie Lawrence) auf eine Lotterie des Milliardärs Marcus Brown (Colm Feore) aufmerksam. Brown verlost ein Freiflugticket für den von ihm finanzierten ersten touristischen Flug ins Weltall. Obwohl Angus deutlich zu alt für die Teilnahmebedingungen ist, schickt er nach langem Zögern mit gefälschter Altersangabe eine Bewerbung ab und kommt plötzlich in die engere Auswahl. Der Traum scheint zum Greifen nah, doch macht sich Angus’ Gesundheitszustand bemerkbar.

Regisseurin und Drehbuchautorin Shelagh McLeod schilderte die Motivation zu ihrem Film mit den Erfahrungen der sich über Monate hinstreckenden Besuche im Pflegeheim ihrer Mutter. Sie bemerkte, daß Senioren viel zu oft herabgewürdigt und dazu angewiesen würden, „stillzuhalten“. Dies habe ihre Einstellung verändert:  „Nicht nur, weil mir bewußt war, daß ich meine Mutter verlieren würde. Mit anzusehen, wie sich meine Mutter, eine lebenslang unabhängige Frau, in eine zerbrechliche, ängstliche und mißachtete alte Dame verwandelte, brach mir schier das Herz.“ In diesem Heim hätte sie einen alten Rollstuhlfahrer getroffen, der stundenlang in den Himmel gestarrt habe. Auf die Frage, was er dort suche, hätte er geantwortet: „Einen neuen Anfang …“

Damit war die Idee zu ihrem Film geboren. Dem Film von Angus, der noch die Träume seiner Teenagerzeit in sich trägt, aber nun im Körper eines alten Mannes steckt. Die Regisseurin wollte nicht nur ein „Gefühl von Hoffnung“ vermitteln, sondern die Botschaft an Familien mitgeben, sich gegenseitig zu helfen, damit, ungeachtet des Alters, Träume wahr werden können, im konkreten wie im übertragenen Sinne. Das und der Hinweis auf ein wichtiges Thema ist ihr mit diesem rührenden Film sicherlich gelungen.

Kinostart ist am 15. Oktober