© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Der Saum des Himmels
Die Cornelia-Funke-Verfilmung „Drachenreiter“ tritt an, um Disney und DreamWorks die Stirn zu bieten
Dietmar Mehrens

Er möchte ein richtiger Drache werden, einer, der auch Feuer spuckt, der kleine Silberdrache Lung, der als „Sparflamme“ verspottet wird, weil er sich mit der Drachen-Kernkompetenz schwertut: Er sprüht zwar ein paar Funken, aber das war’s auch schon.

Als das Drachenreich ähnlich wie Phantásien in Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ ein Opfer von Moderne und Zivilisation zu werden droht, wittert Lung (das ist übrigens das chinesische Wort für Drache) die Chance auf ein echtes Abenteuer. Denn der Legende nach bietet der „Saum des Himmels“ den Zugang zu einem paradiesischen Zufluchtsort für bedrohte Drachen.

Abenteuerliche Reise zum Himalaja

Gemeinsam mit dem Waldkobold Schwefelfell macht Lung sich auf den Weg zu dem sagenumwobenen Ort. Das Duo landet zunächst in der Menschenwelt und begegnet dort dem jugendlichen Juwelendieb Ben, der den Juwelier Glanzmeier gerade um ein Schmuckstück erleichtert hat und nun auf der Flucht ist. Ben macht Lung und Schwefelfell weis, ein Drachenreiter zu sein, und antwortet auf die skeptische Nachfrage: „Was ist denn ein Drachenreiter?“ lakonisch: „Ein Pferdeflüsterer – nur mit Drachen.“ Das überzeugt: Auf Lungs Rücken geht die abenteuerliche Reise um die Welt zu dritt weiter.

Mit dem Goldmonster Nesselbrand ist dem Heldentrio allerdings ein hinterlistiger Widersacher auf den Fersen. Glanzmeier? Sparflamme? Wer Cornelia Funkes Vorlage kennt, reibt sich erstaunt die Augen: Das steht doch gar nicht im Buch! Und wo ist Lola Grauschwanz geblieben, die fliegende Ratte? Funkes Roman wurde kräftig durchgeschüttelt, und viele liebgewonnene Nebenfiguren sind herausgefallen. Dafür wurden andere neu hinzugedichtet. Geblieben ist aber das finale Duell im Himalaja. Denn dort befindet sich, in Buch und Film, der Saum des Himmels.

Cornelia Funke, die „deutsche Joanne K. Rowling“, kann eine stattliche Anzahl Kinderbücher vorweisen, die weltweit in 37 Sprachen zu haben sind. Bei den Verfilmungen ihrer Romane gab es allerdings Licht und Schatten. Die internationale „Tintenherz“-Verfilmung (2008) mit Hollywood-Star Brendan Fraser und die Filmfassung von „Herr der Diebe“ (2006) mit englischen Darstellern enttäuschten die Erwartungen. Lediglich die Verfilmungen der klassischen Mädchenbücher um „Die wilden Hühner“ sowie Detlev Bucks ingeniöse Inszenierung von „Hände weg von Mississippi“ (2007) schafften es, den Geist der Bücher für die Leinwand einzufangen.

Bei „Drachenreiter“, als Buch bereits 1997 erschienen, wurde nun, erneut mit britischer Beteiligung, ganz auf das Zugpferd zeitgemäßer CGI-Animationen gesetzt. Und auch wenn dabei die Qualität von Pixar-, Universal- oder Sony-Produktionen nicht ganz erreicht wird (auf das DreamWorks-Vorbild „Drachenzähmen leicht gemacht“ wird ironisch angespielt), kann sich „Drachenreiter“ durchaus sehen lassen. Für die Kleinen ist die Funke-Verfilmung ein riesengroßes Abenteuer und für die Großen auch ein klein bißchen sehenswert.