© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Der ÖRR auf dem Weg zum „Big Brother“
Länderparlamente beschließen Medienstaatsvertrag: In Sachsen-Anhalt spitzt sich die Debatte zu
Ronald Berthold

Nur die AfD verweigerte die Einstimmigkeit. Ende September ratifizierte der schleswig-holsteinische Landtag mit breiter Mehrheit den Medienstaatsvertrag. Die Begleitmelodie lieferte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU): Das Land brauche starke Öffentlich-Rechtliche, „einen Rundfunk, der den Menschen in Krisenzeiten gesicherte Informationen liefert“. Alle Landesparlamente müssen zustimmen, damit der alte Rundfunk- vom neuen Medienstaatsvertrag abgelöst wird. 13 haben dies bereits getan. ARD, ZDF und Deutschlandradio würden noch mehr Machtfülle und Geld bekommen.

Drei Parlamente stehen noch aus. Und da ruht die Hoffnung der Kritiker auf Sachsen-Anhalt. Noch immer bekräftigen die beiden stärksten Fraktionen ihre Ablehnung: CDU und AfD verfügen zusammen über 51 von 87 Sitzen. Daß die beiden CDU-Koalitionspartner, SPD (11) und Grüne (5), mit „Ja“ stimmen wollen, ist zu wenig. Bleibt die Union bei ihrer Ankündigung, die sie am 9. September im Landtag erneuerte, ist der Vertrag vom Tisch – deutschlandweit. Auf die Linke (16) käme es nicht an.

Die Linkspartei will sich kurzfristig entscheiden

Die drittstärkste Kraft hält sich ihr Votum offen. Entscheiden wolle man sich erst im Dezember, kurz vor der Abstimmung. Zuvor hatte sie ein „Nein“ angekündigt. Erstaunlich ist die bisher standhafte Haltung der Magdeburger CDU-Abgeordneten. Der Druck aus Kanzleramt und Adenauerhaus dürfte erheblich sein. Die Fraktion bleibe bei ihrem Nein, beteuerte ihr medienpolitischer Sprecher, Markus Kurze, im Landtag. Im Anschluß sagte er dem MDR, die Programme von ARD und ZDF müßten bezahlbar bleiben. 

Nun bedürfte es erheblicher Verrenkungen um von diesem Standpunkt wieder herunterzukommen und doch noch zuzustimmen. Seit Jahresbeginn kokettiert der sachsen-anhaltische Landesverband mit der Ablehnung. Eine Kehrtwende vor der entscheidenden Sitzung würde Frustration und Enttäuschung bei den Wählern verursachen. Das heißt jedoch nicht, daß sie unwahrscheinlich wäre. Allerdings würde die Union das Thema dann der AfD überlassen. 

Hier müsse die CDU zeigen, „ob sie Wort hält oder ob sie wieder vor den Grünen und der SPD einknickt“, sagte der medienpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Tobias Rausch, der JUNGEN FREIHEIT. Denn die Oppositionsführerin wird dem Staatsvertrag, wie in den anderen Landtagen auch, nicht ihren Segen geben. Der AfD-Abgeordnete Ulrich Siegmund sprach während der Sitzung von einem „zwangsfinanzierten Gebührensystem“, das überarbeitet werden müsse.

Der Medienstaatsvertrag ist für die Bundesparteien von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linken von herausragender Bedeutung. Er würde dem Staat ein enormes Zugriffsrecht auf die Medienvielfalt sichern und ARD und ZDF gegenüber privaten und alternativen Medien massiv stärken. Die ebenfalls geplante Beitragserhöhung um 86 Cent ist dabei fast vernachlässigbar. Facebook, Youtube, Google und Twitter werden mit dem Medienstaatsvertrag ins öffentlich-rechtliche System eingespannt. Deren Reichweiten sollen genutzt werden, um „zur Sicherung der Meinungsvielfalt“ Sendungen von öffentlichem Interesse eine hervorgehobene Sichtbarkeit zu garantieren. Gemeint sind ARD und ZDF. Auch über Abos von Netflix oder Amazon Prime sollen die Öffentlich-Rechtlichen eingespeist werden. Die Streaming-Dienste werden gezwungen, Teile ihrer Sendeplätze für ARD und ZDF zu reservieren.

Im Staatsvertrag heißt es, sie müßten „im Umfang von höchstens einem Drittel“ die zur „bundesweiten Verbreitung gesetzlich bestimmten beitragsfinanzierten Programme“ sowie die „Dritten Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ anbieten. Der Vertrag greift bis zu Bloggern durch und stellt sie unter die Aufsicht der Landesmedienanstalten. Streamer von Filmen oder Spielen brauchen ab 20.000 Zuschauern eine Rundfunklizenz und hängen damit vom Wohlwollen der Behörde ab. Hinzu kommt: Wer „Falschnachrichten“ oder „Verschwörungstheorien“ verbreite, dessen Kanal kann verboten werden. 

Wie schnell man heute zum „Verschwörungstheoretiker“ wird, mußten während des Lockdowns zahlreiche Mediziner erfahren, die in Videos die Corona-Maßnahmen der Regierung kritisierten. Zuvor traf es Migrations-Experten, die in der Flüchtlingskrise davor warnten, auch Terroristen könnten ins Land strömen. Nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das juristisch nicht zu beanstandende Berichte aus den sozialen Medien verbannt hat, droht nun eine weitere Einschränkung der Pressefreiheit. 

Die juristische Fakultät der Universität Hamburg schreibt, der Staat könnte „über die Zulassungspflicht kritische Blogs zensieren“. Wenig Hoffnung macht die Bemerkung der für die Ausarbeitung des Vertrages zuständigen rheinland-pfälzischen Staatssekretärin Heike Raab (SPD). Sie sagte, Berichterstattung müsse innerhalb von „Leitplanken“ verlaufen, „wie sie der Medienstaatsvertrag vorsieht“.