© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/20 / 16. Oktober 2020

Hauptsache glücklich
Die Historikerin Hedwig Richter präsentiert eine eigenwillige Definition der Demokratie: Europa und Grundeinkommen versprechen Erlösung
Markus Brandstetter

An diesem Buch erstaunt so manches, nicht zuletzt der Titel. Eine „deutsche Affäre“ soll die Demokratie sein – wer hätte das gedacht? Schließlich wurde bislang meist behauptet, die Deutschen wären im Gegensatz zu Griechen, Franzosen, Engländern und US-Amerikanern, in deren Gesellschaften die Demokratie viel früher Einzug hielt, doch eben keine Demokraten, sondern obrigkeitsgläubige Untertanen, denen erst zwei verlorene Kriege den Wert der Demokratie gelehrt hätten. 

Aber ganz so ernst ist es der Autorin mit ihrem Titel ohnehin nicht, denn meist steht nicht Deutschland im Mittelpunkt des Buches, sondern die ganze Welt und deren mühsamer Weg zur Demokratie. Auch den Begriff der „Demokratie“ begreift die Autorin, Professorin für Geschichte an der Bundeswehr-Universität in München, nicht so wie Herodot, Aristoteles und Cicero, die darunter „Volksherrschaft“ verstanden, sondern viel umfassender. 

Für die Verfasserin sind Ziel und Zweck der Demokratie auch nicht „Regierungen des Volkes durch das Volk für das Volk“ (Abraham Lincoln), sondern das Glück der Menschen. Dessen Voraussetzungen sind, durchaus im Sinne der französischen und amerikanischen Revolutionen, Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Aber während Aufklärer und selbst hartgesottene Jakobiner nie mehr verlangten, als daß alle Menschen gleiche Rechte hätten, geht die Autorin dieses Buches darüber weit hinaus. Für sie sollen alle Menschen nicht nur vor Recht und Gesetz gleich sein und mit denselben Chancen und Voraussetzungen ins Leben starten, nein, die Autorin will, daß die Menschen in einem sehr wörtlichen Sinne tatsächlich alle gleich sind, weshalb sie in der materiellen Ungleichheit der Menschen eines der größten Probleme der Moderne sieht – obwohl ihr durchaus klar ist, daß auch große soziale Ungleichheit wie im England des 19. Jahrhunderts eine Demokratie keineswegs ausschließt.

An diesem ahistorischen und realitätsfremden Desiderat einer utopischen Gleichheit der Menschen werden nun die letzten 250 Jahre europäischer Geschichte im Schnelldurchgang abgearbeitet. Das den Blick der Autorin ordnende Raster dahinter besteht aus den Fragen nach der demokratischen oder undemokratischen Einstellung der Eliten, nach den Beschränkungen der Demokratie, nach dem Leiden der Menschen auf dem Weg zu Demokratie und Glück und endlich der Frage, wann und wie nationale Demokratien durch überstaatliche abgelöst werden können.

Dieser von Eifer und Zorn gelenkte Blick auf die Geschichte kommt die Autorin teuer zu stehen, denn alles, was sie in Europa seit der Aufklärung sieht und hört, muß nun in das Prokrustesbett ihrer Vorstellungen gezwängt werden. Wer so über Geschichte schreibt, kann weder analysieren noch erklären – er kann nur mit dem Zeigestock in der Hand ex post loben und schelten. 

All das ergibt dann einen recht bekannten Brei, der die tausendfach erzählte Geschichte schon wieder erzählt: In Deutschland gab es nie eine Revolution, die von 1848 war auch keine, immerhin war die Paulskirchenverfassung gut gemeint. Danach wurde es dann langsam besser: Es kamen Sozialdemokraten, Frauen und irgendwann das allgemeine Wahlrecht, auch wenn zwei Kriege und der Nationalsozialismus das Projekt vom deutschen Glück nochmals weit zurückwarfen. Während der ganzen Zeit wurde schrecklich gelitten, insbesondere von Armen und Frauen, aber nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Dinge besser, weil jetzt immer mehr Menschen in den Demokratie-Bus in Richtung Glück einstiegen. 

So richtig gut wurde die Sache mit der Demokratie aber erst mit Gründung und Ausweitung der EU, weil diese die von der Autorin wenig geliebte deutsche Demokratie nach und nach abschafft, was Hedwig Richter Gelegenheit gibt, einmal richtig in die Harfe zu greifen: „Europa ist etwas Neues und Großartiges, das schönste Kind der neuen Zeit.“

Aber noch herrscht nicht überall und allezeit Glück: Materielle Ungleichheit, Umweltzerstörung, Klimawandel und – ganz aktuell – auch die Corona-Pandemie sind im Moment die größten Bedrohungen für die Demokratie. Die Autorin kennt nicht für alle diese Probleme eine Patentlösung, aber die ungleiche Vermögensverteilung, das weiß sie schon, läßt sich durch das unbedingte Grundeinkommen, das bestimmt kommen wird, beseitigen.

Bei den anderen Problemen ist die Verfasserin jedoch optimistisch: „Die Demokratie ist eine Affäre voller Krisen, aber auch voller Glück und Neuanfang (sic!), gerade auch für die Deutschen. Die Affäre geht weiter. Die Zukunft ist offen, und vermutlich ist sie hell.“

Hedwig Richter: Demokratie. Eine deutsche Affäre. Verlag C.H. Beck, München 2020, gebunden, 400 Seiten, 26,95 Euro