© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Viktor Orbán und die CDU
Den liberalen Schirm verlassen
Dieter Stein

Die CDU erinnert in dieser Woche daran, wie sie sich vor 70 Jahren in Goslar am 20. Oktober 1950 zu ihrem ersten Bundesparteitag versammelte. Unter dem Parteitagsmotto „Einigkeit und Recht und Freiheit“ beschwor der Parteivorsitzende und Bundeskanzler Konrad Adenauer den „Weg zur Freiheit“ – gegen die Herausforderung des Totalitarismus, hier aktuell der Bedrohung durch den Ostmitteleuropa und die Hälfte Deutschlands beherrschenden Sowjetkommunismus.

Die CDU wurde gemeinsam mit der CSU zur tragenden politischen Säule der westdeutschen Bundesrepublik. Fünf von acht Bundeskanzlern stellte die christdemokratische Union, drei die SPD. Die CDU wurde zu der Machtmaschine und blieb es auch im wiedervereinigten Deutschland.

War die Selbstentkernung der CDU wirklich zwangsläufig, daß sie heute Arm in Arm mit den Grünen die faktische Abschaffung des staatlichen Schutzes von Ehe und Familie als politischen Fortschritt feiert und die Kapitulation vor einer linken Agenda als „Modernisierung“ feiert?

Man muß nur weiter nach Osten blicken und sieht, wie kraftvoll Christdemokraten dort in der Lage sind, sich zu präsentieren. Die JUNGE FREIHEIT dokumentiert in dieser Ausgabe eine als Essay publizierte Rede des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, die eine einzige Kampfansage an die beherrschende Idee des Liberalismus ist – der Text liest sich wie eine Abrechnung mit der Merkel-CDU.

Konservative und christdemokratische Bewegungen befänden sich in einer „lebensgefährlichen Umarmung“ der Liberalen. Den Konservatismus unter den „großen Schirm des Liberalismus zu zwängen“ sei falsch. Orbán stellt jedoch unmißverständlich klar, daß er sich mit seiner Polemik nicht einzureihen gedenkt in eine Weltanschauung des Antiliberalismus, der sich wie in der Weimarer Republik antidemokratisch und antiparlamentarisch positioniert.

Statt dessen geht es Orbán um die demokratische Erneuerung der Fundamente unserer Ordnung, die er als „Mitte des Herzens der konservativ-christdemokratischen Tradition“ sieht: „Nation, Familie und religiöse Tradition“. Kann man sich in Deutschland noch einen führenden CDU-Politiker denken, der dies mit solcher Klarheit aussprechen würde?

Markus Söder macht indessen mit seinen täglichen Liebesschwüren Richtung Grüne deutlich, daß auch in der CSU niemand vom Schlage Orbáns mehr erwünscht ist – jemand, der wie dieser einen „Aufstand“ gegen die „Politische Korrektheit“ zu formulieren wagt. CDU und CSU haben diese schließlich längst als Herrschaftsinstrument gegen unliebsame Konkurrenz von rechts angenommen. In Deutschland vergrößert sich so ein politisches Vakuum, bei dem es jedoch Klugheit bedarf, es dauerhaft zu füllen.