© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Annette Kirk hütet den intellektuellen Schatz des amerikanischen Konservatismus.
Herrin des Hügels
Elliot Neaman

Eine konservative Philosophie, die mit dem seit Trump in den USA herrschenden Populismus mehr in Konflikt steht als die von Annette Kirk gepflegte, ist kaum vorstellbar: Dem Eskapismus des derzeit darum kämpfenden Präsidenten, Amerikas Rechte für weitere vier Jahre zu gewinnen, setzte die Präsidentin des „Russell-Kirk-Zentrums für kulturelle Erneuerrung“ die geballte Tiefgründigkeit des „konservativen Denkens“ – so der Titel des Hauptwerks ihres Mannes – entgegen. Der verband 1953 in „The Conservative Mind“ die wild wuchernden Richtungen des britischen und amerikanischen Konservatismus und schuf so eine Grundlage des klassisch-modernen US-Konservatismus nach 1945. Auf deutsch erschien sein Standardwerk 1958, allerdings unter dem völlig anderen Titel: „Lebendiges Politisches Erbe“

Schon früh wurde ihm die Kunst-Absolventin aus New York, Jahrgang 1940, zur unverzichtbaren Helferin. Neben der Erziehung ihrer vier Töchter, vielfältigem Einsatz in öffentlichen und universitären Einrichtungen zur Förderung von Kunst, Sozialem und Bildung, machte Annette sich als Russells Literaturagentin unentbehrlich. Nach ihrer Heirat 1964 baute sie mit ihm in Mecosta, Michigan, jenen Hort konservativen Denkens auf, der nach seinem Tod 1994 zum heutigen Russell-Kirk-Center geworden ist. Wobei das Paar nicht nur Politiker, Philosophen und Schriftsteller, sondern auch politische Flüchtlinge, Landstreicher und andere Außenseiter auf „Piety Hill“ (Hügel der Frömmigkeit), so bald der Spitzname ihres Landsitzes, willkommen hieß.

Der 1918 geborene Russell war im Jahr ihrer Hochzeit zum Katholizismus konvertiert und errichtete sein Denken auf der Idee der Transzendenz, die er in der Tradition, der Göttlichkeit, dem natürlichen Recht und „der Vielfalt und dem Mysterium“ der menschlichen Existenz verkörpert sah. Zudem orientierte er sich – weder Liberaler noch Reaktionär – stark am britischen Denker Edmund Burke, zu dessen Wiederentdeckung im 20. Jahrhundert er beitrug.

Öffentlichen Einfluß nahm das Paar vom Piety Hill auch durch Russells Mitgründung der National Review 1955, einer der wichtigsten Publikationen des US-Konservatismus, zu deren treuen Lesern auch Ronald Reagan gehörte. Nach dessen Wahl zum Präsidenten 1980 wandte er sich an die Herausgeber, mit der Bitte um Personalvorschläge für sein Kabinett. Annette Kirk berief er unter anderem in die „Nationale Kommission für Exzellenz in der Bildung“, deren Bericht 1983 die Bedeutung von Bildung für die Zukunft der Nation ins öffentliche Bewußtsein brachte. 

Später kaperten die Neocons der Ära George W. Bush junior und schließlich Donald Trump den politischen Konservatismus. Um so wichtiger ist das Erbe, das Annette Kirk heute auf dem Hügel bewahrt.