© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Grüße aus Wien
Der Tod ist ein Wiener
Michael Link

Als in diesem Jahr die Touristen aus nah und vor allem fern in diesem Sommer größtenteils ausblieben, trieb das wohl nicht nur in die Stirnen der Tourismusbranche und Wirtschaftstreibenden tiefe Sorgenfalten. Auch wenn es mal als durchaus angenehm empfunden werden konnte, sich auf so manchem Weg in der Wiener Innenstadt nicht durch Touristenmassen zu drängen und über so manche Pferdeäpfel stolpern zu müssen.

Weniger von dieser Touristenflaute bekam ich naturgemäß in meinem Heimatbezirk Simmering am südöstlichen Stadtrand mit. Zugegeben, wir haben eben kein Schönbrunn, kein Riesenrad und auch kein Kunsthistorisches Museum (nur ein kleines Bezirksmuseum in Garconniere-Größe) zu bieten. Dennoch sollte man die Kulturangebote in unserem unscheinbaren Industriebezirk nicht unterschätzen. 

Was mein Ambros: „Wenn’s Nacht wird über Simmering, kommt Leben in die Toten ...“ 

Welcher Bezirk, ja welches Bundesland kann schon den Zentralfriedhof, mit zweieinhalb Quadratkilometern und 330.000 Grabstellen sein eigen nennen? Mit der wunderschönen Kirche zum Heiligen Karl Borromäus, der Präsidentengruft und zahlreichen Ehrengräbern für Persönlichkeiten wie Curd Jürgens und Ludwig van Beethoven? Und das alles inmitten einer mit Rehen und Eulen reich ausgestatteten Umgebung.

Ja, der Tod muß ein Wiener sein. Das wußte schon der Liedermacher und geborene Wiener Georg Kreisler, dessen Todestag sich in Kürze zum neunten Mal jähren wird. Wolfgang Ambros, der mit „Es lebe der Zentralfriedhof“ anläßlich des 100. „Geburtstags“ des Friedhofs 1974 einst einen seiner größten Hits landete, wußte: „Wenn’s Nacht wird über Simmering, kommt Leben in die Toten ...“

Eigentlich kein Wunder, daß der Zentralfriedhof wenige Wochen vor Allerheiligen zum Vertreter Wiens bei der Fernsehsendung „Neun Plätze, neun Schätze: So schön ist Österreich“ auserkoren wurde. 

Unser stattlicher Friedhof,  dunkle Herbstabende, und dann noch die leidliche Pandemie – gleich drei Gründe, mal wieder einen Abend vor dem Fernsehapparat zu verbringen. Wie auch immer der Zentralfriedhof bei dieser Sendung abschneiden wird: Für mich  und wohl zahlreiche andere Wiener wird der Zentralfriedhof  in diesen unsicheren Zeiten eine Oase der Einkehr, ja beinahe der Harmonie aus Leben und Tod,  ein Fixpunkt zu Allerheiligen und Allerseelen bleiben.