© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Der Vatikan investierte Spenden in strukturierte Kreditprodukte
Ein Steinwurf im Glashaus
Thomas Kirchner

Im Bulletin „Oeconomicae et Pecuniarie Quaestiones“ kritisierte Papst Franziskus 2018 den Finanzsektor und Kreditderivate (Credit Default Swap/CDS). Jetzt fliegt dem Vatikan seine Kapitalismuskritik um die Ohren: Die Financial Times enthüllte, daß ein Teil der Spenden für Arme in strukturierte Kreditprodukte investiert wurden. Darin befanden sich eben solche CDS, die zwei Jahre zuvor kritisiert wurden. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, könnte man dazu sagen.

Laut der Londoner Wirtschaftszeitung handelt es sich um ein 528 Millionen Euro schweres Portfolio, das in eine Anleihe investiert wurde, in der wiederum CDS gebündelt waren. Derartige Finanzprodukte werden von Anlegern als Absicherung genutzt. Sollte es zu Kreditausfällen in anderen Teilen des Portfolios kommen, werden diese Verluste durch die Gewinne der Anleihen mit Kreditderivaten zumindest teilweise ausgeglichen. Für gewöhnliche Anleger ist das normal, beim Vatikan ein kleiner Skandal.

Der Konkursantrag des US-Autoverleihers Hertz löste Ende Juni eine Auszahlung von knapp 74 Prozent des Nominalwerts auf die Kreditderivate aus. Ob der Vatikan auch Hertz-Anleihen besaß, die damals auf ein Fünftel des Nominalwertes gefallen waren, wurde nicht berichtet. Denkbar ist aber auch, daß er Verluste durch Anleihen anderer Emittenten erlitt, die in der Corona-Krise pleite gingen. Auch dann hätte die Anlage ihren Zweck erfüllt. Weshalb diese Anlage zum Skandal aufgebauscht wurde und ob das Geld vom „Peterspfennig“ stammte, ist unklar. Möglicherweise stecken interne Machtkämpfe dahinter. Hertz jedenfalls wird überleben, ob es Kreditderivate gibt oder nicht. Dank neuer Kredite über 1,6 Milliarden Dollar wird die Restrukturierung bald abgeschlossen sein.

Bleibt die Frage, wie es mit dem Rest des Vatikanvermögens aussieht, das auf 200 Milliarden Euro geschätzt wird. Ein Großteil davon wird in Immobilien liegen, aber im liquiden Teil der Anlagen dürfte der Vatikan auch Derivate einsetzen, wie dies heute fast alle Institutionen tun. Jedenfalls steht der Vatikan nicht alleine da, wenn er nach öffentlicher Kritik an Derivaten selbst in solche investiert. Der US-Starinvestor Warren Buffett etwa bezeichnete im Jahr 2002 Derivate als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“. Ein paar Jahre später schloß das „Orakel von Omaha“ (JF 36/20) zwanzigjährige Derivateverträge über 37 Milliarden Dollar ab. Greenpeace erlitt 2014 Buchverluste von 3,8 Millionen Euro durch Währungsderivate und sah sich einer Empörungswelle ausgesetzt.

Der Papst ist allerdings lernfähig, wenn er einmal die Vorzüge erkennt: Smartphones hatte Franziskus 2018 mit „Götzenverehrung“ verglichen. Trotzdem stellt der Heilige Stuhl den Gläubigen Apps mit Nachrichten, Radio Vatikanstadt oder L’Osservatore Romano zur Verfügung.