© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

„Sie müssen den Gegner, den Feind, genau kennen!“
Forum Freiheit 2020: Die Corona-Krise dominierte die Buchpräsentation „Wohlstand für alle“ genauso wie das alljährliche Libertären-Treffen in Berlin
Christian Dorn

Wie in der Finanzkrise muß auch diesmal der Staat einspringen, da die „freien Märkte“ versagt hätten, so hieß es vorige Woche im Deutschlandfunk. Doch stimmt das? Schließlich entspringt Sars-Cov-2 keinem Marktprozeß, es ist ein „Chinese virus“, wie Donald Trump es im März ganz undiplomatisch nannte. Im totalitären System der KP-beherrschten Volksrepublik China scheint die Pandemie inzwischen unter Kontrolle, in den westlichen Demokratien gilt Covid-19 hingegen als größte Gefahr für die Weltgesundheit und die Weltwirtschaft. Gleichzeitig erfahren wir wie in George Orwells „1984“ eine Umwertung der Begriffe, so etwa durch die Ökonomin Carlota Pérez, der zufolge durch das Internet und automatisierte Datenverarbeitung ein „Wohlstand für alle“ möglich sei – bei vermindertem Ressourcenverbrauch.

Da treffen sich Grüne und das Silicon Valley. Voraussetzung hierfür sei aber der Abschied von traditionellen Theorien der Volkswirtschaft, mithin der Verzicht auf eine industrielle Massenproduktion, die auf Wachstum, Erwerbsarbeit und Besitz beruht. Stattdessen soll der Staat – finanziert mit Hilfe der Modern Monetary Theory (MMT, JF 49/19), an die auch linke US-Demokraten glauben – die Wettbewerbsbedingungen in eine „synergetische“ Richtung lenken. Damit einher geht die Vision, Gebrauchsgüter gemeinsam zu nutzen, statt sie zu besitzen: Das quersubventionierte und in Deutschland gesetzlich geförderte Carsharing (JF 38/19) ist ein Beispiel dafür.

Solche politökonomischen Visionen sind tatsächlich ein „Paradigmenwechsel“, oder im Klartext: Staatswirtschaft 2.0. Diese steht dem Bekenntnis Ronald Reagans diametral entgegen, der in seiner Antrittsrede als US-Präsident 1981 erklärt hatte: „Die Regierung ist nicht die Lösung für unsere Probleme, die Regierung ist das Problem.“ Dies zu verdeutlichen suchten vergangene Woche gleich zwei Podien, zunächst jenes im FAZ-Atrium in Berlin-Mitte, wo Linda Teuteberg die „originalgetreue“ Neuauflage eines Klassikers vorstellte: Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ von 1957. Und zugleich stellte sich auch die geschaßte FDP-Generalsekretärin selbst in den Blick – schließlich braucht die Ludwig-Erhard-Stiftung einen Nachfolger für den scheidenden Vorsitzenden Roland Tichy (JF 41/20).

„Die Irrtümer des Sozialismus analysieren“

Angesichts einer Corona-Rekordverschuldung und sozialistischer Politikrezepte im Zuge der Corona- und der „Klimakrise“ schlug sich Teuteberg überzeugend. Allerdings grüßte sie auch Gretas Geßlerhüte, als sie für die Ausweitung des CO2-Zertifikate-Handels warb, sowohl hinsichtlich der Wirtschaftsbereiche wie der globalen Reichweite – ein Brennstoffemissionshandelsgesetz à la FDP. Gleichwohl geißelte die 39jährige Juristin den Staat als „Preistreiber“, zumal die Deutschen die geringste Wohneigentumsquote in Europa hätten.

Durch die Grunderwerbssteuer würde es Arbeitnehmern erschwert, Eigentum zu erwerben, um hier an das Mantra Otto Graf Lambsdorffs zu erinnern, der anstelle von „Volkseigentum“ ein „Volk von Eigentümern“ gefordert hatte. Entsprechend warnte Teuteberg vor der Überbewertung des Grundgesetz-Artikels 15. Dieser, der von Juso-Chef Kevin Kühnert und anderen gern zitiert werde, um etwa BMW in „Gemeineigentum“ zu überführen, sei dem damaligen „Zeitgeist verhaftet“. Daß schon „Art und Ausmaß der Entschädigung“ für enteignete BMW-Aktionäre wohl an Klagen vor US-Gerichten scheitern würden, kam aber weder Kühnert noch Teuteberg in den Sinn.

Zunehmende Schulden seien ein „süßes Gift“. Doch dessen toxische Wirkung würde verschleiert, da die Schulden heute nicht mehr getilgt, sondern nur von immer neuen Anleihen abgelöst werden, klagte Teuteberg. Und da klang es fast schon wie eine Erlösung, als zum diesjährigen „Forum Freiheit“, dem alljährlichen Gipfeltreffen der libertären Szene im deutschsprachigen Raum, Gastgeber Gerd Habermann in die Runde rief: „Sie müssen den Gegner, den Feind, genau kennen!“ Unter dem Motto „Kapitalismus, Sozialismus und Corona“ übernahm aber vor allem letzteres das Zepter, da etliche Redner ihre Teilnahme im Berliner Pullman-Hotel „Schweizerhof“ abgesagt hatten.

So war auch der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, Stefan Kooths, nur via Videostream zugeschaltet. Der Leiter des Prognosezentrums am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) bemerkte lakonisch, daß ja „genügend Arbeit“ bliebe, wenn wir allein „die Irrtümer des Sozialismus analysieren“. Die erste Erkenntnis hierbei sei, daß wir „alle signifikant geschwächt aus der Krise“ herauskommen würden. Die durch die Corona-Politik verursachten Schäden ließen sich durch keine staatliche Intervention je wieder gutmachen.

Der in seiner rhetorischen Schärfe unübertroffene Erich Weede, Politologe, Soziologe und Psychologe in Personalunion, diagnostizierte das politische Management der Corona-Krise als einen „Seuchensozialismus“. Der Historiker Gérard Bökenkamp verglich die gegenwärtige Situation mit der Spanischen Grippe (1918–1920), die bei einer Weltbevölkerung von 1,5 Milliarden Menschen schätzungsweise 50 bis 100 Millionen Tote gefordert habe, was die aktuelle Pandemie-Panik um so fragwürdiger erscheinen lasse. Aus Sicht der früheren Grünen- und CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld wird die „Bevölkerung in Deutschland in Dauerpanik gehalten“. Derweil ruiniere nicht der Virus unsere Wirtschaft, sondern die erratischen Entscheidungen der deutschen Politik. „Hinter der Corona-Maske“ werde klammheimlich der „Great Reset“ („Große Transformation“) ins Werk gesetzt, warnte die einstige DDR-Bürgerrechtlerin.

Ein Beispiel sei der „Green Deal“ der EU, an dem die zunehmende Regulierung ablesbar sei. Die Opposition – mit Ausnahme der AfD – agiere dabei wie ein zweiter Regierungssprecher. In der abschließenden Diskussion monierte der Ökonom Gunther Schnabel die „Transmission der Geldpolitik“. Die „strukturelle Veränderung“ werde an den gestiegenen Preisen für Aktien und Immobilien sichtbar. Stefan Kooths erinnerte daran, daß noch vor zehn Jahren unvorstellbar gewesen sei, welche Anleihesummen die EZB heute aufkauft. Und er warnte: „Je öfter man sich auf die Ausnahme beruft, desto eher wird sie zur Regel.“ Nachhaltiger Wohlstand für alle wird so sicher nicht erzeugt.

Ludwig Erhard: Wohlstand für alle – Neuauflage mit einem Vorwort von Lars Feld. Econ Verlag, Berlin 2020, gebunden, 400 Seiten, 20 Euro