© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Politische Suggestion, moralische Urteile
„Babylon Berlin“: Die jetzt in der ARD gesendete dritte Staffel zeigt, daß es den Machern vornehmlich um die Festigung einer Geschichtserzählung geht
Karlheinz Weißmann

Die dritte Staffel von „Babylon Berlin“ ist nach ihrer Erstausstrahlung auf dem Bezahlsender Sky nun auch öffentlich-rechtlich gesendet worden. Wie in den beiden ersten geht es um den Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch), der im Berlin der zwanziger Jahre als Mordermittler Dienst versieht. Die außerordentlich aufwendige und kostspielige deutsche Produktion war von Anfang an mit großen Erwartungen verknüpft. Die erfüllten sich insofern, als die Serie mit Auszeichnungen überhäuft wurde – unter anderem erhielt sie den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Beste Drama-Serie“ – und sich in fünfunddreißig Länder verkaufte.

Zuletzt hat die Fernsehserie hat allerdings nur noch einen Teil des Publikums halten können, das sie ursprünglich faszinierte. Gegenüber der ersten Staffel, die in Deutschland fast acht Millionen Zuschauer fand, ist die Zahl zu Beginn der jüngsten auf die Hälfte, zum Schluß auf etwas mehr als ein Drittel gesunken.

Man kann das einer gewissen Erschöpfung zuschreiben. Diese oder jene Geschichte ist fertig erzählt, manche Gestalt langweilig geworden. Das schmuddelige Goldbraun, in das die Bilder getaucht sind, hat auf Dauer etwas Anstrengendes, ähnlich wie die Begeisterung der Macher für das Abgründig-Perverse, die Neigung, das Berlin kurz vor Börsenkrach und Weltwirtschaftskrise als Fleischwerdung der Arbeiten von Otto Dix und George Grosz erscheinen zu lassen. Aber möglicherweise gibt es auch einen Unmut, der sich aus der erzählerischen und pädagogischen Überfrachtung von „Babylon Berlin“ erklärt.

Was den ersten Aspekt betrifft, hat er mit der fast vollständigen Lösung der Filme von der Romanvorlage Volker Kutschers zu tun. Es ist zwar kein Einwand des Autors bekannt, aber im Grunde läßt die Art und Weise, wie mit den Büchern Kutschers umgegangen wird, jeden Respekt für die Leistung des Schriftstellers vermissen.

Die Regie der Serie schlachtet die Handlungen aus und bedient sich bei den Figuren, um daraus etwas ganz Eigenes zu schaffen. Ihr fehlt aber nicht nur Kutschers Sensibilität für die historische Atmosphäre, sondern auch die Fähigkeit zur stringenten Schilderung. Weshalb sich das Geschehen in zahlreiche Handlungen und Nebenhandlungen auflöst, die schwer zu überschauen sind und durch einen Mangel an Plausibilität irritieren.

Das hat Folgen für die Glaubwürdigkeit der Akteure. Etwas, das an der Figur der Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) besonders deutlich wird, die Kutscher früh als weiblichen Gegenpart zu Gereon Rath entwickelt, während in der Verfilmung der erste Kuß fast bis zum Ende der dritten Staffel warten muß. Wesentlich störender als das ist aber die Verwandlung des emanzipierten Fräuleinwunders, das sich hartnäckig den Zugang zum Polizei-

dienst erkämpft, in eine Berliner Rotzgöre und Gelegenheitsprostituierte, deren Weg ins preußische Beamtenverhältnis ein Mysterium bleibt.

Um das und einige andere Merkwürdigkeiten der Serie zu enträtseln, bedarf es eines Blicks in den verborgenen Lehrplan von „Babylon Berlin“. Denn den Machern geht es nicht nur um den Sensationswert der „Roaring Twenties“ oder den unterhaltsamen Grusel, den Massenarmut, Abtreibungsverbot und Henkersbeil beim Zuschauer erzeugen. Im Zentrum steht vielmehr der Untergang der ersten Republik als politisches Exempel. Zu dem Zweck wird das Personal in einer ganz bestimmten Art und Weise sortiert. Da sind zum ersten die „Ganz-Guten“, vor allem Rath und Ritter, flankiert vom bürgerlichen Idealmenschen, der die Politik als Kreuz auf sich genommen hat, vom putzigen Meisterdetektiv, vom schwulen Polizeifotografen, vom Fellowtraveller der KPD und vom jüdischen Intellektuellen. Da sind zum zweiten die „Fast-Guten“, vor allem die idealistische Armenärztin mit kommunistischem Parteibuch, die Engelmacherin, die Elenden und die proletarische Halbwelt. Es folgen die „Fast-Bösen“, insbesondere die Gentleman-Gangster, die Irren samt Therapeuten und zum Schluß die „Ganz-Bösen“.

Schon aus dramaturgischen Gründen ist diese letzte Gruppe die interessanteste. Es handelt sich in „Babylon Berlin“ um jene Männer, die hinter den Kulissen an den Schalthebeln sitzen, die Geldsäcke, Militärs und unbelehrbaren Anhänger der Vorkriegsordnung, die den Staatsapparat wie die Wirtschaft kontrollieren, aber auch um die dummen kleinen Leute und die braune Knüppelgarde, die sich die Mächtigen fürs Grobe halten.

Daß für die Gestaltung der Rollen Tatsachen und Fiktion vermischt werden, ist in diesem Genre nicht ungewöhnlich. Aber man läßt in „Babylon Berlin“ einerseits historische Personen auftreten und kreiert andererseits Figuren, die nur den Eindruck erwecken, solche zu sein, ohne daß der Mehrzahl der Betrachter diese Differenz bewußt würde. Das ist relativ unproblematisch im Hinblick auf die „Ganz-Guten“, etwa den österreichischer Journalisten Samuel Katelbach (Karl Markovics), den Zwilling Carl von Ossietzkys, oder den Chef der Politischen Polizei August Benda (Matthias Brandt), der erkennbar an den Berliner Vizepolizeipräsidenten Bernhard Weiß angelehnt wurde.

Es mag auch noch hingehen im Hinblick auf jene „Ganz-Bösen“, die wie Generalmajor Seegers (Ernst Stötzner) als Karikatur ihres Vorbildes – des Chefs der Heeresleitung Hans von Seeckt – auftreten. Heikel wird es aber bei dem Einfall, den fiktiven Industriellen und Börsenspekulanten Alfred Nyssen aus zwei Vorbildern – den Brüdern Fritz und August Thyssen – zu verschmelzen und den Eindruck zu erwecken, es habe ein einzelner Psychopath das ganze Wirtschaftsgefüge des Reiches ins Wanken gebracht, um so die Zerstörung der Demokratie zu vollenden.

Ähnliche Vorbehalte müssen im Hinblick auf den Mord an Benda/Weiß geltend gemacht werden, der einen zentralen Handlungsstrang bestimmt und die zweite mit der dritten Staffel verbindet. Denn Weiß war zwar das Ziel übelster antisemitischer Propaganda – Goebbels hetzte notorisch gegen den „Vipoprä“ –, fiel aber keinem Anschlag der Harzburger Front zum Opfer. An dem ist im Film als „Ganz-Böser“ der SA-Führer Horst Kessler beteiligt, unverkennbar ein Doppelgänger Horst Wessels, dem schon manches nachgesagt wurde, aber keine Beteiligung an einem politischen Mord. Als dessen Drahtzieher tritt Günther Wendt (Benno Fürmann) auf. Wendt ist der Idealtypus des exkludierenden rechten Zynikers. Seit der ersten Staffel von „Babylon Berlin“ agiert er als Spinne im faschistischen Netz, erpreßt und tötet skrupellos. Folgt man der Filmerzählung, hat er – ohne Zweifel keine historische Gestalt – sogar Gustav Stresemann – ohne Zweifel eine historische Person – auf dem Gewissen. 

Das alles sind keine beliebigen Regieeinfälle oder künstlerische Freiheiten, sondern Versuche politischer Suggestion. Dem dient die Mischung aus Tatsächlichem und Ausgedachtem, aber auch die überscharfe Konturierung von Personen und Handlungen.

Aufschlußreich ist etwa eine Szene, in der Oberst Wendt eine Rede im Herrenklub hält, Moeller van den Bruck paraphrasiert und dann einen Toast auf die „Konservative Revolution“ ausbringt. Spätestens da wird deutlich, daß es in „Babylon Berlin“ nicht nur um Unterhaltung durch Mord und Kriminalistik, großartige Kulissen und Kostüme und blanke Haut geht, sondern auch um die Vermittlung eines ganz bestimmten Bildes der Vergangenheit. Dessen Kernelement ist eine Verschwörungstheorie, der zufolge die Weimarer Republik an einem Komplott der Eliten zugrunde ging, die sich des autoritären Charakters der Kleinbürger bedienten und von der antidemokratischen Intelligenz das geistige Dekor liefern ließen. Es handelt sich um kein neues, sondern um ein seit langem verankertes Narrativ, das in eher marxistischer oder eher liberaler Variante deshalb akzeptiert wird, weil es der Halbgebildete leicht begreift, hurtige moralische Urteile erlaubt und von jener Anstrengung entlastet, die notwendig ist, um das zu verstehen, was tatsächlich geschah.