© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Die Ahnen der „Anywheres“: Samuel Butlers „Erewhonier“
Hochschulen der Unvernunft
(dg)

In seiner Abwehr des durch den technologischen Fortschritt befeuerten Utopismus, so glaubt der britische Ideenhistoriker Joshua Smeltzer (Cambridge), liege das Zentrum von Carl Schmitts Œuvre nach 1945 (Journal of the History of Ideas, 1/2020). Dabei habe er sich auf den 1932 sofort ins Deutsche übersetzten dystopischen Roman „Brave New World“ von Aldous Huxley gestützt sowie auf einen in Deutschland kaum rezipierten älteren Huxley-Vorläufer, den Essayisten, Reiseschriftsteller und Darwin-Gegner Samuel Butler (1835–1902). Dessen in der Tradition Swifts stehender satirisch-utopischer, 1872 veröffentlichter Roman „Erewhon“ (ein Anagramm des Wortes nowhere, nirgendwo) enthalte bereits wesentliche Motive von Schmitts Reflexionen über moderne „Ent-Ortung und Ent-Menschung“ durch die von technologischen Visionen grenzenloser Machbarkeit „berauschten Utopisten“. Butlers „Erewhonier“ stellen das scheinheilige, jede humane Ordnung auflösende Wertsystem des viktorianischen Kapitalismus durch Übertreibung bloß: Geistliche handeln wie Banker, Verbrecher gelten als Ehrenmänner, „Hochschulen der Unvernunft“ krönen das Erziehungswesen, und die Technik erreicht eine Perfektion, die Menschen versklavt, so daß man fatalerweise beschließen muß, alle Maschinen abzuschaffen. In den zwischen 1947 und 1958 entstandenen Tagebuch-Fragmenten seines „Glossariums“ (Neuausgabe Berlin 2015) habe Schmitt sich von Butler anregen lassen, um seine Kritik am universalistischen Progressismus der One-World-Ideologie und deren Phantasmen von Weltgesellschaft, Weltrecht und Weltfrieden zu vertiefen. 


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