© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

„Das Spiel mit Wahrheit und Lüge“
Lesefest: Gespräche über Donald Trump auf der Frankfurter Buchmesse
Claus Folger

Die Frankfurter Buchmesse als reines Digitalevent macht ohne Rummel und Gerempel keinen Spaß mehr. Immerhin empfing Open Books, das traditionelle Lesefest zur Bücherschau, noch Publikum, wenn die fast 100 Lesungen und Podien auch nur unter den bekannten Corona-Auflagen stattfanden. 

In der Evangelischen Akademie wünschte sich der Autor und SWR 2-Moderator Carsten Otte am Freitag donnernden Applaus nach seiner Einführung, schließlich wird das Gespräch mit drei Literaturkritikern über vier Bücher der Bestenliste für November später gesendet und die Radiohörer sollen denken, daß „hier ein bißchen Publikum da ist“. Besprochen wird unter anderem „Das Hohe Lied“, der neue episodenhafte Roman der US-amerikanischen Schriftstellerin Nell Zink. Er fängt mit einer Milieustudie des US-Musikbusiness in den späten 1980er Jahren an, entwickelt sich zu einem Drei-Generationen-Familienroman, kann das gute Niveau aber nicht halten, da sich die Protagonistin in eine Öko-Aktivistin verwandelt, die vorbildlich alle Kräfte gegen Trumps Präsidentschaftswahl 2016 mobilisiert.

Carsten Otte glaubt, daß „der ungeheuer aktuelle Roman“ auch als eine Art Anklageschrift gegenüber einer Generation zu lesen sei, die es nicht geschafft habe, Donald Trump zu verhindern. FAZ-Kulturredakteur Jan Wiele pflichtet ihm bei. Dem freien Literaturkritiker Eberhard Falcke „leuchtet sehr ein“, daß Nell Zink an einer Stelle in ihrem Roman Trump als „Es“ dieser Gesellschaft bezeichnet. Auf besorgte Nachfrage am Rande des Podiums kann Falcke jedoch klarstellen, daß die Autorin mit „Es“ nur das Freudianische gemeint habe und nicht etwa das Stephen Kingsche.

Begegnungen mit dem Immobilienmogul

Richtig unklar wird es dafür am Samstag im historischen Rathauskeller. Der Wissenschaftsautor und Biograph Jürgen Neffe liest aus seinem Buch „Das Ding. Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl“, in dem er unter anderem seine Begegnungen als Spiegel-Korrespondent mit dem damaligen New Yorker Immobilienmogul Donald Trump verarbeitet. Der Titel ist so wenig greifbar wie der Inhalt, der sich nicht zwischen Sachbuch, Roman, Satire, Autobiographie und politischen Kommentierungen entscheidet. Es ist auf der Messe zu beobachten, daß für viele Autoren die literarische Gattung Roman nur noch ein Etikett zu sein scheint. Trotzdem großer Jubel: Für das Branchenmagazin Buchmarkt „ein unvergleichlicher Roman von hoher politischer Bedeutung für Europa“. Für den an diesem Abend uninteressierten Moderator Denis Scheck so kurz vor den US-Wahlen ist es „das Buch der Stunde“. Nur welche Enthüllungsbombe soll denn platzen? Der Autor sitzt neben dem Moderator auf dem Podium und erklärt, daß er ähnlich wie sein Protagonist Donald Trump „das Spiel mit Wahrheit und Lüge auf die Spitze getrieben hat“. „Meine Freunde rätseln alle, ob meine Begegnungen mit Trump wahr sind oder Fiktion, meistens liegen sie falsch.“ Und jetzt? Wo schon Neffes Freunde nicht durchblicken.

Familienklatschbuch der Trump-Nichte

Ohne Nachfrage am Rande des Podiums geht es also nicht. Der Schriftsteller bestätigt, daß er mit folgender Passage seines Buches als er selbst gesprochen hat: „Das Phänomen Trump stellt so etwas dar wie die Auflösung der Formel zum Verständnis unserer Welt. Wer ihn pathologisiert, beschreibt nur die Krankheit unserer Zeit.“ Sehr ähnlich klingt es bei Mary L. Trump, der Nichte des US-Präsidenten und promovierten klinischen Psychologin, die in der jüngsten Enthüllung, dem Familienklatschbuch „Zu viel und nie genug“, Donald Trump als soziopathischen Narzißten darstellt, „der heute die Gesundheit, die wirtschaftliche Sicherheit und das soziale Gefüge der Welt bedroht“. 

Trump unangespitzt in den Boden zu rammen, ist wohlfeil. Doch gibt es nicht auch Gutes über den US-Präsidenten zu berichten? Zum Beispiel über seine Justizreform, die zur Freilassung zahlreicher schwarzer Häftlinge führte? 

An dieser Stelle sollte man Jürgen Neffe – den Verfasser großer Biographien über Karl Marx, Charles Darwin und Albert Einstein – hinter sich lassen, um das Handeln Trumps zu verstehen. Aber immerhin, mit seiner ins Publikum geworfenen Sentenz am Ende der Lesung könnte er recht behalten: „Es sind nur noch zwei Wochen bis zu den Wahlen. Unterschätzt Donald Trump nicht! Mit dem Rücken zur Wand läuft er zur Hochform auf.“

Mary L. Trump: Zu viel und nie genug. Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf. Heyne, München 2020, gebunden, 288 Seiten, 22 Euro

Jürgen Neffe: Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl. Roman. Europa Verlag, München 2020, gebunden, 240 Seiten, 20 Euro