© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Abschreckung potentieller Leser
Zurückgezogener Hinweis: Eine Facebook-Warnung rückte die JF in die Nähe von Rechtsextremisten
Gil Barkei

Facebook schlägt derzeit wild um sich. Anzeigen, die sich gegen Impfungen aussprechen, sollen verboten werden, da die Corona-Pandemie zeige, wie wichtig „vorbeugendes Verhalten“ für den Gesundheitsschutz sei. Politische Werbung soll nach der US-Präsidentschaftswahl womöglich ganz wegfallen. Schon direkt nach Schließung der Wahllokale am 3. November dürfen keine Werbeanzeigen für politische oder soziale Belange mit Bezug zur Stimmenabgabe geschaltet werden. Wie Twitter und Youtube geht Facebook zudem gezielt gegen Profile vor, die der sogenannten QAnon-Bewegung (JF 38/20) nahestehen sollen.

Es macht den Eindruck, als probiere der Konzern im Eiltempo, es allen Kritikern recht zu machen und neue Vorgehensweisen umzusetzen und zu testen. Dazu ist auch eine Methode zu rechnen, die gegen rechte und konservative Medien in Stellung gebracht wurde, von der auch die JF betroffen war.

Suchten Facebook-Nutzer Anfang vergangener Woche in dem sozialen Netzwerk konkret nach der JUNGEN FREIHEIT, erschien als erstes der Warnhinweis „Wir möchten unsere Community schützen“: „Diese Suchbegriffe können mit extremistischen Gruppen und Individuen in Verbindung gebracht werden. Deswegen arbeitet Facebook mit Organisationen zusammen, die helfen, die Verbreitung von Haß und gewalttätigem Extremismus zu verhindern.“

Weiterleitung zu einer Beratungsstelle

Klickte der Nutzer auf „Mehr dazu“, wurde er auf violence-prevention-network.de weitergeleitet, wo er begrüßt wurde mit: „‘Ich brauche Hilfe.’ Beratung bei rechtsextremistischer Radikalisierung“. Die dazu eingeblendete Hotline sei montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr zu erreichen, falls „Sie nicht sicher sind, ob der neue Freundeskreis oder die veränderten Verhaltensweisen einer Person auf eine Radikalisierung hindeuten“ oder „Sie Aussagen oder Verhaltensweisen wahrnehmen, die den Verdacht einer Radikalisierung erwecken“.

Aber auch per Mail sei man „da, wenn: Sie die Befürchtung haben oder sicher sind, daß jemand in Ihrem Umfeld sich einer rechtsextremistischen Gruppierung angeschlossen hat“ oder „Sie sich selbst in rechtsextremistischen Strukturen befinden und diese verlassen möchten“.

Das „Violence Prevention Network“ ist ein eingetragener Verein mit Sitz in Berlin. Das 2004 gegründete Netzwerk hat die „Vision, daß ideologisch gefährdete Menschen und extremistisch motivierte Gewalttäter*innen durch Deradikalisierungsarbeit ihr Verhalten ändern, ein eigenverantwortliches Leben führen und Teil des demokratischen Gemeinwesens werden, um so Extremismus jeder Art vorzubeugen“. 

Das in acht Bundesländern örtlich präsente Mitglied der „Bundesarbeitsgemeinschaft Ausstieg zum Einstieg“ ist Unterzeichner der „Initiative Transparente Zivilgesellschaft“ und anscheinend ein Multi-Talent. Zum Angebot gehören neben der Beratung auch Fortbildungen, Präventions-Workshops, Deradikalisierung im Strafvollzug, Forschung und Entwicklung sowie die Distanzierungs- und Ausstiegsbegleitung. 

Eine Verlinkung auf eine Aussteiger-Beratungsstelle für Rechtsextremisten: Tüftelt Facebook nach Reichweiteneinschränkungen und gezielten Beitragslöschungen (JF 9/20) nun also an subtileren Eingriffen in die Presse- und Meinungsfreiheit? Die Botschaft der Aktion ist klar: Potentielle Interessenten der jungen freiheit sollten mit einer konstruierten Nähe zu Rechtsradikalen davon abgehalten werden, JF-Inhalte zu sehen und gegebenenfalls zu liken und zu abonnieren. 

Betroffen von der Methode war nicht nur die JF. Auch wer Compact oder Sezession in das Suchfeld bei Facebook eingab, erhielt die Warnung. Dabei hatte das US-Unternehmen das Profil des Compact-Magazins bereits Ende August gelöscht. 

Die AfD wurde nicht mit dem Community-Hinweis bedacht. Ebenfalls nicht betroffen waren die Antifa und linksradikale Medien wie Jungle World oder Neues Deutschland – eine Weiterleitung zu einer Berstungsstelle über Linksextremismus: Fehlanzeige. 

Handelte es sich also um eine nur auf rechtskonservative Medien zielende Aktion? Fragen, warum und nach welchen Kriterien Facebook die Profile mit dem Hinweis versah, und welche Accounts alle betroffen waren, ließen Facebook und das „Violence Prevention Network“ unbeantwortet. Der Warnhinweis verschwand jedoch kurz nach der Presseanfrage so plötzlich, wie er gekommen war.