© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Auf die physische folgt die Vertreibung „im Geiste“
Schonend ausgewähltes Grauen
(ob)

Heimat ist das Geflecht aus Menschen, Orten, Traditionen, Erlebnissen und Gefühlen, in dem wir uns in unserer eigenen Identität am richtigen Platz fühlen.“ In einem diesem typisch deutschen Phänomen gewidmeten Heft des Organs der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung (Politische Studien, 493/2020) fällt diese Begriffsdefinition nicht aus dem Rahmen der übrigen, auf die „Heimat Bayern“ konzentrierten Beiträge. Für Bernd Fabritius, den Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, kann sie sich aber nicht auf einen sozialpsychologischen Tatbestand beschränken. Denn für seine Klientel, die Millionen deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler, ist das Identitätsempfinden, das Heimat vermittelt, regelmäßig mit einer tiefgreifenden Verlusterfahrung verbunden. Trotzdem finde das Kapitel „Flucht und Vertreibung als Teil unserer gesamtdeutschen Geschichte“ immer weniger Platz im kollektiven Gedächtnis, so daß sich die physische Vertreibung „im Geiste“ fortsetze. Dieser Verdrängung erweist aber auch Fabritius Reverenz, wenn er aus „schiere Qual“ bereitenden Breslauer und Königsberger Zeitzeugenberichten „schonend“ auswählt. Oder wenn er von „ethnischen Säuberungen“ spricht, die im Sommer 1945 „in Polen“ und nicht etwa in Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesien stattfanden, die immerhin ein Viertel des Deutschen Reichsgebiets ausmachten. 


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