© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/20 / 23. Oktober 2020

Eine autoaggressive Identität
Der Politikwissenschaftler Hans-Helmuth Knütter über die Deutschenfeindlichkeit, die selbst unter Deutschen verbreitet ist
Claus-M. Wolfschlag

Bekannt wurde Hans-Helmuth Knütter durch sein zeitgeistkritisches Buch „Die Faschismus-Keule“ von 1994. In den letzten Jahren hat der emeritierte Bonner Politikwissenschaftler mehrere Broschüren bei den „Deutschen Konservativen“ publiziert, die sich der politischen Linken widmen. Damit gehört er zu den wenigen Publizisten mit wissenschaftlichem Hintergrund, die sich überhaupt intensiver mit dem Linksradikalismus befassen. Welch großes Forschungsgebiet, das fast ungenutzt der kritischen Analyse harrt. 

In seiner neuesten Broschüre hat sich Knütter dem Phänomen der Deutschfeindlichkeit angenommen. Die Schrift ist insofern gelungen, als sie dem Leser auf verständliche Weise die historischen Ursachen und Folgen der Deutschfeindlichkeit nahebringt. Die Stärke der kleinen Schrift liegt darin, daß sie die Augen für die außenpolitischen Hintergründe öffnet, in denen die Wurzeln der negativen Zuschreibungen Deutschlands und des deutschen Volkes liegen. Das eher positive Bild als machtloses Kulturland änderte sich infolge der Reichseinigung 1871, als die bis dahin dominierenden Imperialmächte einen starken wirtschaftlichen Konkurrenten zu fürchten bekamen. 

In neuer säkularer Religion sind die Deutschen das Böse

Während des Ersten Weltkriegs wurde die propagandistische Welle als Teil der psychologischen Kriegführung verstärkt. Eine erneute Verschärfung trat infolge des Zweiten Weltkriegs auf. In der Nachkriegszeit wechselten Phasen deutschfeindlicher oder -freundlicher Geschichtsinterpretation je nach dem außenpolitischen Bedarf der bestimmenden Großmächte ab. Das negative Bild des zu besetzenden Feindstaates, der nach alliierter Verlautbarung keinesfalls befreit werden sollte, wurde von einer freundlicheren Interpretation abgelöst, als es nötig wurde, die Deutschen in das jeweilige Bündnissystem des kalten Krieges zu integrieren. Die Entspannungspolitik der Chruschtschow-Ära machte solche Rücksichtnahmen zunehmend unnötig. Die Hegemonialmächte richteten sich in ihren Herrschaftsbereichen ein. Und nun störte der deutsche Wiedervereinigungsanspruch, der zunehmend als „friedensstörend“ dargestellt wurde. Das negative Bild der Deutschen wurde wieder herausgeholt und der 68er-Generation serviert, die es nur zu gerne aufgriff. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks um 1990 diente es zudem als „antifaschistischer“ Feindbild-Konsens, mit dem sich die heterogenen Teile der Linken zusammenhalten ließen. 

Die Schwäche von Knütters Schrift liegt darin, daß sie den psychologischen Aspekt des Phänomens zu wenig beachtet. Weshalb wird die von Machtinteressen geleitete Deutschfeindlichkeit und eine damit verbundene, über viele Kanäle transportierte einseitige Geschichtsinterpretation so begierig von vielen Deutschen übernommen? Mangelndes medienkritisches Bewußtsein, Gruppen- und Karrieredruck sind die eine Seite der Kampagne. Zudem in einer jüngeren Generation, die vollständig in der Post-68er-Ära politisch sozialisiert wurde. Das erklärt aber nicht die teils aggressiven Reaktionen, die zum Beispiel sogenannten „Geschichtsrevisionisten“ entgegenschlagen, die sich um ein differenziertes, Deutschland moralisch entlastendes Geschichtsbild bemühen. Hier geht es an den Nerv einer autoaggressiv programmierten Identität, die vehement gegen das sogenannte Böse einer Neubetrachtung verteidigt wird. 

Einer Art neuer säkularer Religion wird gehuldigt, bei der die Deutschen die Rolle des Bösewichts übernehmen, die im alten Testament die Babylonier oder Ägypter spielen durften. Zahlreiche Comic-artige, popkulturelle Verästelungen oder Hollywoodüberzeichnungen wie der Film „Inglourious Basterds“ lassen das Bild bis zum illeteraten, naiven Konsumenten verbreiten. Das führt zu zahlreichen Entfremdungen vom eigenen Kollektiv, universalistischen Fluchtversuchen bis zur Leugnung der nationalen Existenz. Thorsten Hinz („Die Psychologie der Niederlage“) und Rolf Peter Sieferle („Epochenwechsel“) haben sich dieser Frage bereits gewidmet. 

Knütter weist zumindest auf den wichtigen Aspekt der seelischen Abspaltung hin: „Da mutet es seltsam, ja feindlich an, wenn von Angehörigen der eigenen Gruppe eine herabsetzende Kritik an der Gemeinschaft erfolgt. Hierzu wird der unzutreffende Ausdruck ‘Selbsthaß’ benutzt, unzutreffend, weil diejenigen, die sich so äußern, keineswegs sich selbst hassen, sondern die anderen Glieder der eigenen Sozialgruppe. Diese denken und verhalten sich nicht so, wie manche oppositionell eingestellte Einzelgänger wollen, und das führt aus Zorn und Enttäuschung zu herabsetzender Kritik.“ Die Frage bleibt dabei nur, wer herrscht und wer ist Opposition?

Hans-Helmuth Knütter: Deutschland als Feindstaat. Deutschfeindlichkeit gestern und heute. Die Deutschen Konservativen, Hamburg 2020, broschiert, 46 Seiten, kostenfrei zu bestellen unter info@konservative.de