© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

CDU verschiebt Neuwahl des Parteivorsitzenden
Wutbürger Merz
Christian Vollradt

Eine Partei, die im Bund sowie in vielen Ländern regiert und die Lebensgestaltung der Menschen bis weit in den privatesten Winkel hinein im Namen des Infektionsschutzes erheblich einschränkt, kann keine Inthronisierungsfeiern mit über tausend Teilnehmern abhalten. Insofern ist die vom CDU-Vorstand beschlossene Absage des Stuttgarter Parteitags nur konsequent. Warum Friedrich Merz, dem die Herzen der meisten Mitglieder zufliegen, auf die Entscheidung eines Führungszirkels, dem er nicht angehört, so dünnhäutig reagiert, liegt auf der Hand: Von der Entscheidung, die Wahl des neuen Parteivorsitzenden auf einen unbestimmten Termin zu verschieben, profitieren die Gegner des Sauerländers, dessen Zeit ohne Macht sich dadurch verlängert.

Vor beinahe 20 Jahren hatte Merz schon einmal einen Machtkampf mit dem Adenauerhaus auszufechten; seinerzeit als Chef der Unions-Bundestagsfraktion und somit noch als Teil dessen, was er nun „Partei-Establishment“ nennt. Damals hatte er freiwillig auf die Option des Kanzlerkandidaten verzichtet und am Ende (fast) alles verloren – gegen Angela Merkel und einen bayerischen Ministerpräsidenten. Offenbar will Merz die Wiederholung solch einer Schmach partout verhindern. Doch seinen Furor gegen den Wunschkandidaten der aktuellen Unionsspitze wird ihm diese als Unvermögen, integrativ zu wirken, auslegen. Das ist toxisch in einer Partei, die Streit scheut und den Konsens vergöttert.