© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

„Mich erinnert das an Deutschland“
Russell Berman gehört zu jenen US-Intellektuellen, die Donald Trump unterstützen. Warum tut er das? Weshalb befürchtet er eine „Katastrophe des politischen Systems“, sollten die Demokraten gewinnen? Und was haben seine Besorgnisse für die USA mit uns zu tun?
Moritz Schwarz

Herr Professor Berman, sind Sie ein böser Mensch?

Russell Berman: Sicherlich nicht böser als der Durchschnitt.

Aber Sie favorisieren Trump – nach deutschem Maßstab sind Sie damit mindestens verantwortungslos, wenn nicht bösartig.

Berman: Diese Ansicht kann ich den Deutschen nicht übelnehmen, verfolge ich doch die deutschen Medienberichte. Ich sehe also, wie verzerrt sie sein können – die der Öffentlich-Rechtlichen erscheinen mir manchmal als verheerend. 

Zum Beispiel?

Berman: Nun, etwa ein ZDF-Bericht, in dem der US-Journalist Dan Rather meinte, Trumps Motto sei „Make America white again“, wobei der amerikanische Zuschauer merkte, daß er natürlich „Make America great again“ karikiert. Der deutschen Übersetzung fehlte aber die entsprechende Betonung, und auch sonst machte der Bericht die Ironie nicht deutlich. So daß der Eindruck entstehen konnte, das sei tatsächlich eine Losung Trumps. Mich wundert also nicht, daß viele Deutsche ein negatives Bild von Trump haben.   

Was überzeugt Sie an ihm?

Berman: Da gibt es eine ganze Reihe von Punkten, etwa in der Wirtschafts-, Kultur- oder Außenpolitik. 

Apropos: Sie sind vom US-Außenministerium in eine Kommission berufen worden, sind also nicht unvoreingenommen. 

Berman: Die „Kommission für unveräußerliche Rechte“ – gemeint sind Menschenrechte in der Außenpolitik; heute spreche ich aber mit Ihnen als Privatperson. Warum ich Trump favorisiere? So sank etwa – bevor Corona alles durcheinanderbrachte – nicht nur die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordtief, sondern es stiegen auch die unter Obama geschrumpften Gehälter vieler Arbeitnehmer, vor allem der unteren Einkommensgruppe. 

Allerdings streiten sich Trump-Anhänger und -Gegner, ob das wirklich sein Verdienst ist und nicht einfach das der Konjunktur.

Berman: Es ist deshalb sein Verdienst, weil es vor allem eine Folge seiner Deregulierung ist, die unter Joe Biden wohl aufgehoben werden würde, der viel mehr auf einen dirigistischen Staat setzt. In der Kulturpolitik überzeugt mich Trumps positive Einstellung zum eigenen Land, dessen Kultur und Leistungen. Es tobt derzeit hier eine Debatte um das Selbstverständnis der USA: Was ist der historische Ausgangspunkt der Nation? Ist es, wie bisher, das Jahr 1620, als die Pilgerväter der „Mayflower“ landeten, auf der Suche nach Religionsfreiheit, oder 1619, das Jahr, in dem das erste Sklavenschiff ankam? Es geht um den  Kern des amerikanischen Projekts: Freiheit oder  eine „systematisch rassistische“ Kultur?

Und Sie neigen Trumps nationalistischer Position zu?

Berman: Ich halte Trump nicht für einen Nationalisten, auch wenn er das selbst von sich behauptet. 

In Deutschland sehen ihn etliche gar als Faschisten. Der „Stern“ zeigt ihn mit gerecktem Arm in Hitlerpose auf dem Titelbild. 

Berman: Man kann über Trump sprechen – oder über jene, die so etwas behaupten. Selbst wenn Trump so schlimm wäre, wie er von seinen Feinden in den Medien gezeichnet wird, wäre, ihn „Faschist“ zu nennen, immer noch eine Verniedlichung des Faschismus. Wenn so etwas aus Deutschland kommt, fragt man sich, ob nicht eben das vielleicht im deutschen Sinne ist. Jedoch gibt es sowieso eine Faschismus-Vorwurf-Inflation, die zeigt, daß der Begriff längst nichts mehr mit echtem Faschismus zu tun hat. Und um Ihrer wohl nächsten Frage zuvorzukommen: Ich halte Trump auch nicht für einen Rassisten. Er hat zum Beispiel die wirtschaftliche Lage der Minderheiten verbessert – und er rühmt sich dessen! Was ein Rassist kaum tun würde. Natürlich beirrt das die Linke nicht in ihrem Vorwurf. Überhaupt aber nimmt der Rassismusvorwurf immer absurdere Züge an. So gilt hierzulande nun etwa als solcher, wer gegen den Erhalt der US-Rassen-Kategorien ist. 

In Deutschland gilt genau das Gegenteil: Wer für den Erhalt der Kategorie Rasse im Antidiskriminierungsartikel unseres Grundgesetzes eintritt, ist „Rassist“.

Berman: Wo ich mit den Kritikern übereinstimme ist, daß Trump Populist ist. Allerdings gilt das in Deutschland eher als Schimpfwort, während ich es als Definition für Trumps Brückenposition zwischen rechts und links verwende.

Zum Beispiel?

Berman: Etwa will Trump Schüler aus ärmeren Familien fördern, damit sie die Wahl haben, Privatschulen besuchen zu können, was sonst nur reichen Kindern erschwinglich ist. Oder nehmen Sie seine Fiskalpolitik: Investitionen auf Pump – er ist quasi ein Anti-Schäuble! Da ist er im Prinzip den Demokraten näher als seinen Republikanern. Oder Außenpolitik: Trump ist ohne Zweifel der Präsident mit der größten Abneigung gegen US-Interventionen seit Jimmy Carter. Und tatsächlich ist er der erste Oberkommandierende in den letzten vierzig Jahren – inklusive Bill Clinton und Friedensnobelpreisträger Obama wohlgemerkt –, der keinen großen Militäreinsatz befohlen hat. Ja, er will sogar Truppen abziehen. Während Biden sich als Falke profiliert, ist Trump in diesem Wahlkampf der eigentliche Friedenskandidat.  

Wenn Trump, wie Sie sagen, kein Nationalist ist, obwohl er sich selbst so bezeichnet, was ist er dann?

Berman: Tatsächlich entspricht seine Position ziemlich der Präsident Macrons. 

Wie bitte? Der gilt in Deutschland als das gerade Gegenteil Trumps!

Berman: Vergleichen Sie nur mal Trumps Rede zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli mit der, die Macron am 4. September im Pantheon gehalten hat. In beiden ging es, ohne historische Verfehlungen zu verschweigen, um eine positive Einstellung zur jeweiligen nationalen Vergangenheit: Macron schämt sich nicht Franzose, Trump nicht Amerikaner zu sein. Für beide ist Patriotismus eine Tugend. Das wäre ein guter Ausgangspunkt für jede politische Kultur. 

Allerdings soll Trump in den letzten vier Jahren immer wieder gezielt Extremisten  hofiert haben. Der häufigste Vorwurf diesbezüglich: Über eine gewalttätige Demonstration 2017, bei der Hakenkreuze gezeigt und eine linke Gegenprotestlerin ermordet wurde, sagte er, es hätte „auf beiden Seiten auch anständige Menschen“ gegeben. 

Trump: Damit meinte er, auf beiden Seiten der Diskussion um die Frage, ob die Statuen von Persönlichkeiten der sezessionistischen Südstaaten gestürzt werden sollen oder nicht – was der Anlaß für die Demonstration war. Macron wehrt sich auch gegen den Umsturz von Statuen aus der langen, nicht immer glücklichen Geschichte Frankreichs.

Sie meinen, diese Demonstration bestand nicht nur aus Rechtsextremisten, wie in den Medien dargestellt, sondern vereinte, wie auch die „Black Lives Matter“-Demos, ein Spektrum von extremistisch bis bürgerlich? Ist es das, was Sie sagen wollen?

Berman: In der Debatte über die Darstellung der Geschichte gibt es auf beiden Seiten moderate Stimmen. Sie fragen jedoch zu Recht nach diesem Fall, denn er wird oft falsch dargestellt. Trump sagte ausdrücklich, daß er die Neonazis und Weißen Nationalisten verurteilt: Man soll bitte den ganzen Text lesen, nicht nur journalistisch verkürzte Zitate! Die Heuchelei liegt nicht bei ihm, sondern bei den Demokraten: Während sie von Trump Distanzierung fordern, der er nachkommt, distanzieren sie sich nicht von Extremisten, etwa der Antifa oder Strömungen von „Black Lives Matter.“ Dies wird von den Medien nicht einmal verlangt. Ebenso gibt es keine robuste Verurteilung der Antisemiten unter den Demokraten. Es erinnert mich an den Kollaps des antitotalitären Konsens in Deutschland. Lange Zeit zählte Distanz zu beiden Flügeln des Extremismus zu den Grundfesten der Bundesrepublik. Inzwischen aber werden Kommunisten im Bundestag sowie linksradikale Gewalt auf der Straße, etwa in Leipzig oder Berlin, von der deutschen Öffentlichkeit als normal akzeptiert; während Rechtsextremisten stets – und zu Recht – verurteilt werden. Käme das, was Linksextremisten zum Beispiel in Leipzig-Connewitz an Gewalt ausüben von rechter Seite, gäbe es eine ganz andere Reaktion. Eine berechtigte Reaktion, wie ich sie bei jeder extremistischen Gewalt erwarten würde.

Journalistenlegende Bob Woodward berichtet in seinem neuen Buch „Wut“, daß Trump Anfang des Jahres in einem mitgeschnittenen Interview über Corona sagte: „Das ist tödliches Zeug ... Man atmet Luft, das ist, wie es sich überträgt.“ Und dann: „Ich wollte es herunterspielen. Ich spiele es immer noch herunter, weil ich keine Panik will.“ Biden hat ihm deshalb „Verrat am Volk“ vorgeworfen. Hat er da nicht recht? 

Berman: Nein, denn es ging darum, Panik zu verhindern. Biden versucht nur die eigene Fehleinschätzung der Pandemie zu kaschieren. Zum Beispiel, als Trump den Flugverkehr nach China einstellte, hat Biden ihn als „Fremdenfeind“ beschimpft. Womit wir wieder beim Thema Inflation des Rassismusvorwurfs wären. 

„Keine Panik“ ist immer gut, aber er hätte dann im Hintergrund doch alle Maßnahmen treffen müssen und das Virus, wenn er es für tödlich hält, nicht für harmlos erklären dürfen. Gemäß seiner Sicht auf Corona ist er dann doch für den Tod von über 220.000 Amerikanern mitverantwortlich!

Berman: Seien wir ehrlich, im Fall Corona behaupten Politiker in allen Ländern zu wissen, was richtig ist – und haben in Wirklichkeit wenig Ahnung und machen Fehler. Etwa galt Europa bei uns lange als Vorbild: „So hätten wir es machen müssen!“, sagen die Trump-Kritiker. Nun sind diese Stimmen stiller, seit Europa eine massive zweite Welle erfährt. 

Trump liegt nach letzten Umfragen vom Montag, je nach Erhebung, bei 42 bis 44, Biden bei 50 bis 52 Prozent. Sprechen wir also sowieso nur über den Verlierer?

Berman: Da wage ich nach der Überraschung von 2016 keine Prognose. 

Was, wenn Joe Biden gewinnt?

Berman: Ich bezweifle, daß dann der moderate Biden regieren wird, der uns jetzt vorgestellt wird. Denn es ist üblich, daß sich Kandidaten vor der Wahl zentristischer geben, als sie tatsächlich sind – um noch möglichst viele Wähler der Mitte hinzuzugewinnen. 

Was befürchten Sie konkret?

Berman: Einiges habe ich schon angedeutet, was Wirtschafts- und Kulturpolitik angeht. Darüber hinaus habe ich große Zweifel, daß es bei Bidens jetziger scheinbarer Distanzierung zum „Green New Deal“ und „Defund the police“ der Linken in seiner Partei bleibt. Das gleiche gilt für Vizepräsidentin Kamala Harris, deren Amtsübernahme im Laufe der Administration ich annehme. Vor allem befürchte ich, die Demokraten könnten versuchen, den Obersten Gerichtshof zu ihren Gunsten umzugestalten. 

Wie das? 

Berman: Indem sie zusätzliche, politisch hörige Richter ernennen. 

Geht das denn so einfach? 

Berman: Man nennt das „Packing the court“ und geht in der Tat per einfacher Gesetzesnovellierung. Dafür muß nicht einmal die Verfassung geändert werden, obwohl die Zahl von neun Richtern seit anderthalb Jahrhunderten feststeht. Wenn sie auf diese Weise das Gericht aufblähen und auf Kurs bringen, wäre das eine Katastrophe für unser politisches System, weil sie sich damit die Judikative gefügig machten. Das wäre viel schlimmer als das, was bisher Polen vorgeworfen worden ist.   

Viele fürchten etwas ganz anderes, nämlich eine Krise, weil Trump eine Wahlniederlage nicht anerkennen würde. 

Berman: Wenn er die Wahl verliert, wird er am 20. Januar, dem Tag, an dem seine Amtszeit endet, ordentlich das Weiße Haus verlassen. 

Viele Medien spekulieren, er könnte seine Anhänger zu Gewalt aufrufen oder gar einen Verfassungsputsch versuchen. 

Berman: Ich wiederhole, ist das Ergebnis eindeutig, wird er regulär gehen. Vielleicht wird es hier und da ein paar kleine Proteste seiner Anhänger geben. Gewalt in großem Ausmaß wird vielmehr dann stattfinden, wenn er gewinnt: In dem Fall werden wir schlimme Ausschreitungen seiner Gegner erleben. 

Warum wird das immer anders dargestellt?

Berman: Mit solchen Geschichten verkaufen sich Zeitungen – „Click bait“ nennt man das. Laut den Medien ist Trump auch die ganz große Gefahr für die Pressefreiheit. Doch wie viele Journalisten haben eigentlich ihren Job durch Trump verloren? Keiner. Einige hatten dank einer Auseinandersetzung mit ihm gar einen Karriereschub! Welche Journalisten waren es tatsächlich, die gekündigt wurden? Jene, die nicht trumpkritisch oder links genug waren. 

Was, wenn das Ergebnis nicht eindeutig ist? 

Berman: Dann wird es an der Briefwahl liegen oder wie 2000 an einem sehr knappen Ergebnis. Und wir werden uns eben alle gedulden müssen, bis exakt ausgezählt ist oder es zu einer Gerichts­entscheidung kommt. Das nennt man Rechtsstaat.






Prof. Dr. Russell A. Berman, ist Mitglied der politischen Forschungsstelle und Denkfabrik „Hoover Institution“ unter Leitung von Condoleezza Rice in Kalifornien und gehört der „Commission on Unalienable Rights“ des US-Außenministeriums an. Zudem gibt der Germanist die akademische Vierteljahrszeitschrift für Politik, Kultur und Philosophie Telos heraus und lehrt an der Universität von Stanford Literaturwissenschaft. Geboren wurde Russell Berman 1950 in Boston.

Foto:  Das Weiße Haus unterm Sternenbanner: „Nach der Überraschung von 2016 wage ich keine Prognose mehr ... Gewinnt Joe Biden, bezweifle ich, daß der ‘Moderate‘ regieren wird, als den man ihn uns jetzt vorstellt. Ich habe große Bedenken, daß es bei seiner jetzigen scheinbaren Distanzierung von den Linken in seiner Partei bleibt ... Gewinnt Trump, rechne ich mit Gewalt“   

 


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