© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Vir gewinnt
CDU sagt Parteitag ab: Die Hängepartie im Machtvakuum dauert weiter an
Jörg Kürschner

Die Arbeitswoche im Berliner Regierungsviertel hatte noch gar nicht richtig begonnen, da eröffnete CDU-Mann Friedrich Merz den Machtkampf um den Parteivorsitz. Am Montag gegen 7.30 Uhr polterte er im Fernsehen los: „Ich merke das seit einigen Wochen, es gibt Teile des Partei-Establishments, es sind Teile, es sind nicht alle, aber beachtliche Teile, die verhindern wollen, daß ich Parteivorsitzender werde.“ Die Corona-Pandemie als Grund für die Verschiebung des Parteitags läßt er nicht gelten. Wenn auch ein digitaler Parteitag nicht zustande käme, dann „gibt es offensichtlich Gründe, die mit Corona wenig oder gar nichts zu tun haben“, meinte Merz. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak wies diese Darstellung tags darauf zurück. Später legte er nach, Noch-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer bekam seinen angestauten Ärger zu spüren. „Die Verschiebung des Parteitags ist eine Entscheidung gegen die CDU-Basis.“ 

Damit nicht genug. Merz, einmal in Fahrt, warf Mitbewerber Armin Laschet den Fehdehandschuh hin. „Ich habe ganz klare, eindeutige Hinweise darauf, daß Armin Laschet die Devise ausgegeben hat: Er brauche mehr Zeit, um seine Performance zu verbessern. Ich führe ja auch deutlich in allen Umfragen. Wenn es anders wäre, hätte es in diesem Jahr sicher noch eine Wahl gegeben.“ Doch seit Sonntag laufe der letzte Teil der Aktion „Merz verhindern“. Kampfansage pur: „Ich halte durch, und ich werde mich von diesem Prozeß nicht zermürben lassen.“ In einem Zeitungsbeitrag kritisierte er zudem die Corona-Politik seiner Intimfeindin, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie habe den Staat in „die Rolle eines Rückversicherers für alle gesellschaftlichen Risiken“ gedrängt. 

Schließlich gilt, wer neuer CDU-Chef wird, hat auch den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur der Union. Einer Umfrage zufolge sind 45 Prozent der CDU-Mitglieder für einen Parteichef Merz, Laschet und Röttgen kommen auf 24 bzw. 13 Prozent. Gewählt wird der AKK-Nachfolger aber von den 1.001 Delegierten des Parteitags. Umfrageliebling Merz befürchtet nun, die Verschiebung des Parteitags mindere seine Wahlchancen. Eigentlich hätte ein Sonderparteitag bereits am 25. April stattfinden sollen.

Laschet, Merz’ gefährlichster Konkurrent, hatte sich klar für eine Verschiebung des ordentlichen Parteitags ausgesprochen, der am 4. Dezember in Stuttgart mit ausgefeiltem Hygienekon­zept einen neuen Parteichef wählen sollte. Man könne den Bürgern nicht vermitteln, sie müßten zu Hause bleiben, während die CDU mit 1.001 Delegierten und weiteren Gästen einen Parteitag abhalte. Ähnlich argumentierte CSU-Chef Markus Söder, der immer wieder als gemeinsamer Kanzlerkandidat von CDU und CSU genannt wird. 

„Selbstverständlichkeit der Demokratie erschüttert“ 

Der weitere Mitbewerber, der Außenexperte Norbert Röttgen, stellte sich hinter den Beschluß des Bundesvorstands. Die CDU werde mit der Verschiebung ihrer Verantwortung in der Pandemie gerecht und sichere zugleich ihre Handlungsfähigkeit im Wahljahr. Merz hatte dagegengehalten. Ein Präsenzparteitag könne auch unter Corona-Bedingungen stattfinden. „Gut, wenn das nicht möglich ist, dann kann er als digitaler Parteitag stattfinden, und er kann auch mit einer Wahl beschlossen werden. Das ist meine Meinung.“ Zwei Monate vor Beginn des Superwahljahres mit der Bundestags- und sechs Landtagswahlen geht es um Verfahren, wie Parteitage mit Kandidatenaufstellungen sowie die Stimmabgabe bei den Wahlen rechtssicher organisiert werden können.

Der CDU-Bundesvorstand war anderer Meinung als Merz. Einstimmig. Am 14. Dezember will das Gremium die Corona-Lage neu bewerten und entscheiden. Wiedervorlage am 15. und 16. Januar, falls im Dezember noch kein Beschluß gefaßt wird. Unklar blieb aber nach der Vorstandssitzung ein genauer Termin, wann der Parteitag nachgeholt werden soll. Die Alternative Briefwahl löste im Vorstand Entsetzen aus. 70 Tage werde das dauern, befürchtet Ziemiak. Mitte März gilt es, die ersten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu bestehen. In der CDU geht die Sorge um, die Hängepartie um die AKK-Nachfolge und den Kanzlerkandidaten könnten weitere Attacken provozieren und damit die Wahlchancen schmälern. Alexander Mitsch, Bundesvorsitzender der Werte-Union, betonte, „die unselige Diskussion“ um den Parteitag schade der CDU bereits jetzt. „Gerade im Hinblick auf die Vorbereitung der nächsten Bundestagswahl ist ein weiterer Aufschub inakzeptabel.“

Mit Blick auf das Superwahljahr 2021 hatte der Bundestag kürzlich das Wahlgesetz geändert. Die Neuregelungen, auf die sich Merz stützt, beinhalten, daß die Parteien ihre Kandidaten für den Bundestag künftig in Pandemie-Zeiten oder in anderen Notlagen ohne Präsenzversammlungen aufstellen können. Bislang schreibt das Gesetz für die Aufstellung Wahlversammlungen mit persönlicher Anwesenheit von Kandidaten und Delegierten vor. 

Künftig kann das Bundesinnenministerium in Fällen von Pandemien per Verordnung die Nominierung von Wahlkandidaten ohne Einberufung von Präsenzversammlungen erlauben. Voraussetzung ist, daß der Bundestag feststellt, daß solche Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich sind. Die Abstimmungen können dann per Briefwahl oder digital erfolgen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der Altvater des Parlaments, resümierte, die Pandemie habe die „Selbstverständlichkeit der Demokratie erschüttert“.