© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Kalkar klarmachen
AfD: An ihrem Bundesparteitag Ende November will die Partei partout festhalten – ungewiß bleibt er dennoch / Neue Aktivität in Sachen Verfassungsschutz
Christian Vollradt

Ungeachtet der Entscheidung der CDU, ihren Parteitag im Dezember abzusagen (Seite 7) und möglicherweise erst im nächsten Jahr stattfinden zu lassen, hält die AfD an ihrem Termin am ersten Adventswochenende fest. Dann soll im niederrheinischen Kalkar, tief im Westen, fast an der holländischen Grenze, der von vielen heiß ersehnte „Sozialparteitag“ stattfinden. Der Leitantrag steht schon lange, er sollte ursprünglich bereits Ende April in Offenburg zur Abstimmung gestellt werden. Das Corona-Virus durchkreuzte den Plan. 

Nun soll also Ende November der Kompromiß zwischen der eher sozialstaatlich und der eher wirtschaftsliberal  ausgerichteten Strömung innerhalb der Partei gefunden werden. Allgemein konnte man seit dem Frühjahr den Eindruck gewinnen, das Thema Sozial- und Rentenpolitik habe in der AfD an Aufregerpotential eingebüßt.

Das lag natürlich in erster Linie daran, daß in Sachen innerparteilicher Sprengkraft neue Munition reichlich vorhanden ist. So wird denn auch aus einem anderen Grund der Bundesparteitag mit noch größerer Spannung erwartet: wegen der Nachbesetzungen zweier Posten im Bundesvorstand. So muß zum einen ein neuer Schatzmeister als Nachfolger des im Januar ausgeschiedenen Klaus Fohrmann gewählt werden. Zum anderen ist ein Beisitzerposten neu zu vergeben, da ja dem Brandenburger Andreas Kalbitz von Bundesvorstand und Bundesschiedsgericht die Mitgliedschaft in der AfD aberkannt worden war. 

Kein Geheimnis ist, daß es in der Frage, wer als Nachrücker in Frage kommt, weniger um die Ämter an sich als um die Zusammensetzung des von internen Spannungen gezeichneten Bundesvorstands geht. So könnte entweder das Lager um Parteichef Jörg Meuthen und die stellvertretende Vorsitzende Beatrix von Storch seine Mehrheit ausbauen. Oder deren interne Gegner, allen voran Co-Sprecher Tino Chrupalla und Vize Alice Weidel, finden in den Nachrückern Verbündete und könnten die Mehrheitsverhältnisse an der Parteispitze umkehren. Namen kursieren bereits, werden jedoch stets mit dem Hinweis versehen, sie nicht öffentlich bekannt zu machen, um die Bewerber nicht zu „verbrennen“. 

Mancher Funktionär wirkt im Vorfeld angespannt, es stehe viel auf dem Spiel, meint einer, der nicht mit einem harmonischen Verlauf und sachlichen Debatten zu rechnen scheint.  

Bleibt die Frage, ob die Veranstaltung mit rund 600 Delegierten, Gästen und zahlreichen Medienvertretern überhaupt angesichts steigender Infektionszahlen wird stattfinden können. Hinter vorgehaltener Hand hat so mancher seine Zweifel. Doch offiziell lautet die Parole: Wir ziehen das durch. Zumindest werde es keine Absage seitens der Parteiführung geben. Sollten die Behörden je nach Inzidenz in der Region dem ganzen Vorhaben einen Riegel vorschieben, dann müsse man sich dem eben beugen.

Unterdessen kommt nun doch Bewegung in die Sache, wie mit einer drohenden Verfassungsschutz-Beobachtung umzugehen ist (JF 43/20). Das Thema steht unter anderem auf der Tagesordnung der Klausur des Bundesvorstands mit den Landesvorständen Ende kommender Woche. Im Vorfeld ging ein Fragebogen der Arbeitsgruppe Verfassungsschutz an die Vorstände in den Ländern.  

Dabei geht es zunächst um die bisher noch unvollständige Faktensammlung. Dies sei notwendig, um am Ende das Ziel eines abgestimmten rechtlichen Vorgehens zu erreichen. Erhoben werden soll unter anderem, ob das jeweilige Landesamt des Verfassungsschutzes die AfD insgesamt, Teilorganisationen, Zusammenschlüsse oder einzelne Mitglieder in eine Fall-Kategorie eingestuft hat. Und ob, so dies der Fall ist, bereits rechtliche Schritte eingeleitet wurden. Dies betreffe „unter anderem den Landesverband Brandenburg, der vom Konvent am 18. Juli 2020 für seine Musterklage gegen das Landesamt für Verfassungsschutz einen Zuschuß in Höhe von 50.000 Euro bewilligt bekommen hat“. 

Die hessische AfD hat inzwischen das Landesamt für Verfassungsschutz abgemahnt. Grund: Im Verfassungsschutzbericht 2019 werden 600 Parteimitglieder zum aufgelösten Flügel gezählt – und damit als rechtsextrem eingeordnet. „Die Personenzahl des aufgelösten Flügels stammt aus dem Reich der Vermutung und beruht nicht auf Fakten“, monierte Landessprecher Klaus Herrmann. Daher sei die Nennung im Bericht nach Ansicht des Vorstands rechtswidrig. Weitere rechtliche Schritte gegen die Behörde behalte man sich vor.