© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Wir haben euch nicht gerufen!
Vor 110 Jahren schlug ein deutsches Marine-Geschwader einen Eingeborenenaufstand auf der Südseeinsel Ponape nieder
Matthias Schneider

Am 11. Oktober 1899 ankerten der Dampfer „Kudat“ und das Kanonenboot „Jaguar“ vor der Insel Ponape. An Bord befanden sich der Gouverneur von Deutsch-Neuguinea, Rudolf von Benningsen, und der Kolonialbeamte Albert Hahl, um die offizielle Besitzergreifung der Karolinen zu vollziehen. Nach seiner Niederlage im Spanisch-Amerikanischen Krieg war Spanien als Kolonialmacht im pazifischen Raum ausgeschieden und hatte die Inselgruppen der Marianen und Karolinen an das Deutsche Reich für knapp 17 Millionen Reichsmark verkauft.

Nach formeller Übergabe und Flaggenparade blieb Hahl mit wenigen Getreuen zurück. Fern der Heimat, auf einem Eiland, das durch die Spanier nie hatte befriedet werden können, ohne regelmäßige Verkehrs- und Telegraphenverbindung, hatte seine Situation wenig mit Südseeromantik zu tun. Einziges Machtmittel war eine 40 Mann starke Polizeitruppe, Söldner, die man auf Makassar angeworben hatte, und deren Loyalität von regelmäßiger Bezahlung, guter Behandlung und Verpflegung abhing. Aber Hahl gelang es mit Mut, diplomatischem Geschick und Anpassungsfähigkeit, eine scheinbar hoffnungslose Situation zu meistern. Ohne kriegerische Auseinandersetzungen galt die Insel nach knapp zwei Jahren als befriedet, dem Alkohol- und Waffenschmuggel durch die regelmäßig einlaufenden Walfänger war Einhalt geboten und das Vertrauen in die deutsche Verwaltung hergestellt. 

Aufbau einer Infrastruktur  schuf Konfliktpotential

1907 ergaben sich für die deutsche Kolonialpolitik grundlegende Änderungen. Das neu gegründete Reichskolonialamt verfolgte das Ziel, die Kolonien durch wirtschaftliche Entwicklung von Reichszuschüssen unabhängig zu machen. Hahl, inzwischen Gouverneur von Deutsch-Neuguinea und sein Nachfolger auf Ponape, der Bezirksamtmann Georg Fritz, entwarfen daher einen Plan, um die traditionellen Verhältnisse hinsichtlich Landeigentum und Tributabhängigkeiten grundlegend zu ändern; gleichzeitig sollten Steuern und Pflichtarbeit zum Ausbau der Infrastruktur nutzbar gemacht werden.

Mit diesen Reformplänen kehrte das Mißtrauen gegenüber den deutschen Machthabern zurück, so daß es schon beim ersten Projekt, dem Bau eines Weges von Nord nach Süd, zu Widersetzlichkeiten und Spannungen kam. Dem Bezirksamtmann erschien die Situation so bedrohlich, daß er Unterstützung anforderte, und nur dank der Präsenz zweier Kanonenboote konnte der Weg mit Hilfe melanesischer Polizeisoldaten fertiggestellt werden.

Ende 1909 wurde Fritz durch Gustav Boeder abgelöst, der die Infrastruktur zügig entwickeln wollte und im März 1910 mit dem Bau eines Küstenweges auf der nördlich vorgelagerten Insel Dschokadsch begann, diesmal ausschließlich mit Arbeitern des dort ansässigen Stammes der Jokoj. Wegen wiederholter Arbeitsverweigerung und Ungehorsams ging das Projekt nur schleppend voran, weshalb der Bezirksamtmann beschloß, Prügel- und Gefängnisstrafen einzuführen. In Deutsch-Ostafrika, wo Boeder zuvor tätig gewesen war, erschienen solche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplin geeignet. Bei den stolzen Ponape-Insulanern schürte dies nur Haß und Verbitterung. 

Als am 17. Oktober erneut ein Arbeiter brutal verprügelt worden war, brachte dies das Faß zum Überlaufen. Die Oberhäupter der Landschaften Dschokadsch und Palikir beschlossen den Krieg gegen die deutsche Kolonialmacht. Tags darauf kam es unterhalb des Paipalap-Felsens im Ort Danipei zu einem Massaker, bei dem Bezirksamtmann Boeder, sein Sekretär, zwei Wegebauaufseher und vier Nomoi-Insulaner von den Aufständischen umgebracht und teilweise verstümmelt wurden.

Als die Schreckensnachricht die Hauptstadt Kolonia, den Sitz der Kolonialverwaltung erreichte, übernahm Regierungsarzt Max Girschner als ranghöchster Beamter den Oberbefehl und organisierte mit 50 Polizeisoldaten die Verteidigung. Seit zehn Jahren auf der Insel, hatte er sich durch sein wohltätiges Wirken bei der Bevölkerung Vertrauen erworben. Nun forderte er in dieser prekären Lage von den Häuptlingen der loyal gebliebenen Stämme Hilfe an. Ein riskanter aber erfolgreicher Entschluß, denn innerhalb weniger Tage wurden ihm fast 500 waffenfähige Insulaner zur Verteidigung der Hauptstadt geschickt. 

Was folgte waren 39 Tage Belagerungszustand und banges Warten, bis am 26. November der Reichspostdampfer „Germania“ eintraf, der sofort nach Rabaul weiterfuhr, um beim Gouverneur von Deutsch-Neuguinea zu berichten und Entsatz anzufordern. Hätten die Jokojs sofort am ersten Tage ihrer Erhebung Kolonia gestürmt, wäre ihnen zumindest ein vorläufiger Erfolg sicher gewesen. Aber entweder hatten sie keinen konkreten Plan oder ihr Kampfeseifer war erloschen, nachdem man sich an den Vertretern der verhaßten Obrigkeit gerächt hatte.

Spätestens mit Eintreffen des Kreuzers „Cormoran“, am 19. Dezember, waren genügend militärische Machtmittel vor Ort und ein Erfolg der Aufständischen ausgeschlossen. Anfang Januar 1911 folgte das Vermessungsschiff „Planet“ und am 10. Januar trafen mit den Kreuzern „Emden“ und „Nürnberg“ die letzten Verstärkungen ein.

Die erste Aktion richtete sich gegen das Hochplateau auf der Insel Dschokadsch, wo sich die Hauptmacht der Aufständischen zur Verteidigung eingerichtet hatte. Am 13. Januar wurden deren Schanzen mit Schiffsartillerie beschossen, danach Marineinfanterie angelandet und das knapp 300 Meter hohe Plateau gestürmt. Die Hoffnung, mit dieser kühnen Aktion den Aufstand schnell zu beenden, erfüllte sich nicht, denn es gelang den meisten waffenfähigen Rebellen, auf die Hauptinsel zu entkommen.

Das Oberkommando sah sich nun mit einem Kleinkrieg konfrontiert, erschwert durch die Umstände, daß es in dem von tropischem Buschwald dominierten Inselinnern kein Wegenetz gab. Außerdem verfügte man weder über brauchbare Karten noch über nennenswerte Ortskenntnis und war auf die Dienste von Führern und Spähern seitens der loyalen Stämme angewiesen.

Mittels drei großangelegter Operationen, bei denen die Truppen außerordentliche Marschleitungen und Strapazen zu bewältigen hatten, versuchte man die Rebellen durch Umklammerung einzukreisen und auszuschalten, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Um dem Gegner alle Versorgungsmöglichkeiten zu entziehen, wurden dessen Dörfer niedergebrannt, alle Lebensmittel requiriert oder vernichtet. Ausgehungert und vom unablässigen Verfolgungsdruck der Streifpatrouillen erschöpft, ergaben sich grüppchenweise immer mehr Aufständische. Nachdem sich Mitte Februar auch die Häuptlinge Jomatau und Samuel von Palikir mit ihren verbliebenen Gefolgsleuten gestellt hatten, war der Aufstand beendet. 

Während der Gerichtsverhandlung am 23. und 24. Februar bekamen alle Angeklagten Gelegenheit, sich zu verteidigen, und von Rebellenführer Jomatau ist die erinnerungswürdige Frage überliefert: „Was wollt ihr Deutschen hier – wir haben euch nicht gerufen?“ 

Die aktiven Mörder und Leichenschänder, siebzehn an der Zahl, wurden zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung sollte durch Erschießen erfolgen und nicht durch schändliches Erhängen, denn das Gericht befand darauf, daß die Morde nicht aus niederen Motiven begangen wurden, sondern die Aufständischen von einer Idee geleitet waren. Mehrere Rädelsführer wurden zu Zwangsarbeit in den Phosphatgruben von Angaur verurteilt, die übrigen Stammesangehörigen, insgesamt etwa 400 Menschen, gingen in die Verbannung nach Babeldaob, beides Inseln des Palau-Archipels.

Das Land der Aufständischen wurde Regierungseigentum und größtenteils heimatlosen Eingeborenen der Inseln Mortlock und Pingelap, deren Atolle durch Taifune verwüstet worden waren, als Siedlungsgebiet zugewiesen.

Nach der Rebellion wurden Reformpläne umgesetzt

Die rigorose Niederschlagung der Rebellion und das strenge Strafgericht hatten bei den Ponapesen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Hermann Kersting, der neue Bezirksamtmann, konnte in relativ kurzer Zeit die Reformpläne umsetzen, doch war es dem deutschen Reich nicht vergönnt, die Früchte dieses Entwicklungsprogramms zu ernten. Knapp vier Jahre später brach der Erste Weltkrieg aus, die Karolinen wurden von den Japanern besetzt. Nach dem Friedensvertrag von Versailles bekam Japan die Inseln als Völkerbundsmandat zuerkannt. Während des Zweiten Weltkriegs waren die Karolinen stark umkämpft zwischen Japanern und US-Amerikanern. Nach dem Krieg verwalteten die Amerikaner das Inselreich, bis es 1990 als Föderierte Staaten von Mikronesien in die Unabhängigkeit entlassen wurde.