© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/20 / 30. Oktober 2020

Der weiße Schatten der Energiewende
Im südamerikanischen „Lithiumdreieck“ werden die Kosten europäischer klimapolitischer Träume bezahlt
Christoph Keller

Im Editorial zum Jubiläumsheft der seit vierzig Jahren erscheinenden Zeitschrift Natur (10/20) bringt es Peter Laufmann fertig, daran zu erinnern, daß ihm die ersten Ausgaben in der Stadtbibliothek seiner Heimatstadt in die Hände fielen. Den legendären Gründer Horst Stern (1922–2019) erwähnt der Forstwissenschaftler nicht. Ein Grund könnte sein, daß der den damals aufsteigenden Grünen schon mißtrauende Ökologe Stern 1984 das Handtuch warf, weil die Verlagsleitung mehr boulevardjournalistischen Biß verlangte.

Sterns Nachfolger agieren inzwischen als Sprachrohr der „Energiewende“. Auch die ersten Absätze von Susanne Götzes Reportage über den Lithium-Abbau in den Anden scheinen der zeitgeistigen Natur-Leitlinie zu folgen: Hochleistungsbatterien von E-Autos, in denen 40 Kilogramm Lithium verbaut sind, so schwärmt die Historikerin im Stil einer gemeinsamen Pressemitteilung von BMW und den Grünen, hätten wir den geräuscharm schnurrenden, schadstofffreien „behaglichen Technikkomfort des 21. Jahrhunderts“ zu verdanken. Und wenn die Klimarettung dank staatlichem Umweltbonus „obendrein vergünstigt ist, dann kommt sie auch an“.

Hoher Wasserverbrauch in regenarmen Salzwüsten

Auf diesem Gipfel der Anbiederung macht die Spiegel-Redakteurin und Autorin des CO2-alarmistischen Buches „Die Klimaschmutzlobby: Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen“ (Piper-Verlag 2020) allerdings abrupt kehrt. Götze zerpflückt das Märchen von den „sauberen“ alternativen Energien mit brisanten Informationen, die sie auf einer Exkursion im „Lithiumdreieck“, der 4.000 Meter hoch gelegenen Grenzregion zwischen Argentinien, Bolivien und Chile einsammelte. Dort in der bergigen Einöde lagern 80 Prozent der bekannten weltweiten Lithiumvorkommen. Ihr industrieller Abbau hat längst begonnen. Milliardenschwere Investoren seien hier emsig tätig, Autobauer wie Toyota ebenso wie australische und kanadische Bergbauunternehmen, mit denen wiederum deutsche Autobauer wie BMW Verträge schlossen.

Im Fracking-Verfahren wird die lithiumhaltige Salzschlacke aus dem Untergrund gepumpt, in Bassins von Fußballfeldgröße geleitet, um unter freiem Himmel zu verdunsten, bis Fabriken in den argentinischen Salinas Grandes das feinkörnige getrocknete Pulver zu Lithiumkarbonat verarbeiten. Klingt unkompliziert, ist es aber nicht. Die Schwierigkeiten beginnen damit, daß man für den Abbau in den regenarmen Salzwüsten der Anden Unmengen von Frischwasser benötigt. Allein zur Förderung der Salzmasse aus dem Untergrund fließen stündlich 80.000 Liter. Dadurch sinkt der natürliche Wasserspiegel ab, und salziges mischt sich mit Süßwasser. Die Bergbaukonzerne kontaminieren so in einem staatlichen Naturreservat „sehenden Auges unwiederbringliche Trinkwasserreserven“, wie Marcelo Sticco, ein Hydrologe von der Universidad de Buenos Aires (UBA), Götze aufklärt.

Doch nicht nur ein einzigartiges Ökosystem ist bedroht. Sondern auch die Siedlungen der Kolla-Indianer. Zehntausende in den Berggemeinden würden ohne Trinkwasserversorgung ihre Heimat verlieren. Im Vertrauen auf die Unterstützung von Sticco und anderen Wissenschaftlern formieren sich die Indigenen daher zum Widerstand. Regelmäßig veranstalten deren Aktivisten Protestmärsche und blockieren die Zufahrtstraßen zu den Abbauzentren. Und eine Klage vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (Corte IDH) sei ebenfalls anhängig. Indes beeindrucke diese „Kriegserklärung der Kolla“ die Regierung des Gouvernements und die Konzernzentralen nur insoweit, wie sie Anfragen von Forschern und Journalisten nach den „Kollateralschäden“ der Lithiumförderung entweder überhaupt nicht oder abwiegelnd beantworten. Mit Schweigen reagieren sie auf nahezu rhetorische Fragen nach der Einhaltung europäischer Umwelt- und Sozialstandards, deren gezielte Mißachtung ja die fabelhaften Gewinnmargen erst ermöglicht.

Weltmarktpreise stiegen bisher um 350 Prozent an

Unternehmer und Politiker wähnen sich gegenüber Umwelt- und Heimatschützern in einer Position der Stärke, da der wachsende Elektroauto- und Stromspeichermarkt in China, den USA und Europa nach ihrem weißen Stoff giere, ohne den der Traum von der Verkehrswende, der abgasfreien „smart city“, platzen würde. Seit dem Jahr 2000 sind die Weltmarktpreise für Lithium um 350 Prozent gestiegen, mit Gewinnspannen bis zu 8.000 Dollar pro Tonne.

So sehen sich Argentinien und Chile als unanfechtbare Hauptprofiteure der weiteren Produktionssteigerung von heute 70.000 auf jährlich 240.000 Tonnen Lithiumkarbonat im Jahr 2030. Da es ohne dieses „weiße Gold“ keine Energiewende gebe, würden Mensch und Natur in den Anden wohl zu Opfern der CO2-freien Zukunft des globalen Nordens. Dann aber, folgert Götze, erfüllen Energie- und Verkehrswende nicht die Anforderungen an eine ökologische Wende, sondern wiederholen die Fehler der fossilen Industrialisierung.

Staat und Wirtschaft in Deutschland hätten drei Optionen, um sich aus der Abhängigkeit vom „schmutzigen“ süd-amerikanischen Rohstoff Lithium wenigstens partiell zu befreien: Erstens sei, dem Beispiel des ähnlich rohstoffarmen Japan folgend, die Versorgungssicherheit durch den Aufbau von Metall-Lagern zu erhöhen. Zweitens lasse sich die Kreislaufwirtschaft mit alten Batterien weit über das gegenwärtig kümmerliche Niveau hinaus verbessern. Und drittens – dies die aussichtsreichste Option – dürfe man darauf hoffen, daß sich bei stetig anziehenden Weltmarktpreisen die Erschließung heimischer Vorkommen lohne.

„Der deutsche Lithiumschatz“ in einigen alten Stollen des Erzgebirges, mutmaßlich der größte Europas, könnte dann rentabel gehoben werden. Zwanzig Millionen E-Autos, so rechnet Achim Müller, einstiger Mitbegründer der Solarworld AG und 2017 Gründer der Deutschen Lithium GmbH, Götze vor, könnten dreißig Jahre lang mit dem Lithium laufen, das man nur aus dem Gestein eines Stollens unter dem erzgebirgischen Bergarbeiterort Zinnwald brechen müsse. Zwanzig Tonnen Probematerial habe er schon herausgeholt, die bewiesen, daß die Lithiumdichte hoch genug sei, um gewinnbringend Abbau zu betreiben. Die Pilotphase der Förderung solle 2021 starten, allerdings fehlt Müller dafür noch ein Investor.

In der ersten Euphorie nach der Entscheidung, aus der Atomkraft auszusteigen, tönten die infantilen Grabredner des „fossilen Zeitalters“: „Bei Wind und Sonne kann uns niemand den Hahn zudrehen.“ Inzwischen, so resümiert Götzes Kollegin Henrike Wiemker in ihrem Beitrag über weitere schmutzige Rohstoffe für Windturbinen und Solarzellen, wie etwa Kobalt aus dem Kongo, Kupfer aus Peru oder Seltene Erden aus China, dämmert es selbst solchen Autarkie-Phantasten, daß es keine Energiewende gibt, die zum ökologischen Nulltarif zu haben wäre und die nicht in fatale Abhängigkeiten führt.

Aktuelles Themenheft über „Schmutzige Rohstoffe“ (Natur, 10/20):

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