© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Ländersache: Baden-Württemberg
Stuttgarter Allerlei
Kurt Zach

Für die Grünen läuft es nicht so richtig rund im Wahlkampf um den Posten des Oberbürgermeisters von Stuttgart. In einer Endspurt-Umfrage vor dem Wahltag am 8. November führt CDU-Bewerber Frank Nopper mit rund 25 Prozent. Der unpopuläre Amtsvorgänger Fritz Kuhn, der die Landeshauptstadt vor acht Jahren für die Grünen gewonnen hatte, wollte die Abwahl nicht riskieren und trat nicht mehr an; andere Prominente wie die zur Landtagspräsidentin aufgestiegene Muhterem Aras winkten prompt ab. Also ging Veronika Kienzle als Verlegenheitskandidatin ins Geschirr und muß sich jetzt sogar vorhalten lassen, ihr „Eurhythmie-Studium“, mit dem sie den Lebenslauf schmückt, sei nur eine gewöhnliche Waldorf-Ausbildung.

Kienzle im Nacken sitzt der Ökosozialist Hannes Rockenbauch. Der radikale „Stuttgart 21“-Scharfmacher mit eigener Studentenliste ist inzwischen Taktschläger der gemeinsamen Fraktion mit der Linken und wurde soeben mit zwei weiteren Gemeinderats-Genossen wegen Hausbesetzung verurteilt. Auf Platz vier und fünf der Umfrage-Rangliste konkurriert der dreißigjährige Künstlersohn Marian Schreier, der vor fünf Jahren im Bodensee-Nest Tengen zum jüngsten Bürgermeister des Landes gewählt worden war, als „Unabhängiger“ mit SPD-Parteibuch mit dem städtischen SPD-Fraktionschef Martin Körner. Auch diese Selbstzerfledderung hat in der behäbig dahinsiechenden Stuttgarter SPD mittlerweile Tradition. 

Bei so viel linker Konkurrenz hat CDU-Bewerber Frank Nopper dennoch nur begrenzte Chancen, wenn am 29. November das neue Stadtoberhaupt endgültig bestimmt wird. Zum zweiten Wahlgang kann jeder der vierzehn Bewerber wieder antreten; dann genügt die relative Mehrheit. Der biedere CDU-Honoratior, der mit fast zwei Jahrzehnten „OB-Erfahrung“ in der Speckgürtel-Stadt Backnang wirbt, ist auch nur zweite Wahl; Landeschef Thomas Strobl hätte einen „urbaneren“ Kandidaten vorgezogen. FDP und Freie Wähler – ohne eigene Kandidaten – werden vom offiziellen SPD-Kandidaten umworben.

Mit AfD-Kandidat Malte Kaufmann darf Nopper dagegen wohl schon aus Parteiräson nicht reden, obwohl der Heidelberger Unternehmer 15 Jahre in der CDU engagiert war, bevor er zu den Blauen wechselte. Kaufmann, der als einziger Bewerber das Parteilogo auf seine Plakate zu setzen wagt, will sich mit klaren Ansagen zu Null-Toleranz in der inneren Sicherheit, zur Aufhebung unsinniger Corona-Beschränkungen und dem Bekenntnis zur „Automobilstadt“ Stuttgart vom Bewerberfeld absetzen.

Neben den sechs Aussichtsreichen tummeln sich dort wie jedesmal allerlei chancenlose Einzelbewerber und Selbstdarsteller. Alte Bekannte sind darunter, wie der Städtebau-Kritiker Ralph Schertlen oder der in Brasilien geborene Werner Ressdorf, der den zum Abwasserkanal degradierten Nesenbach wieder zum Stadtfluß machen möchte. Dazu neue Gesichter wie der Betriebswirt und selbsternannte „neue Rommel“ Marco Völker oder der IT-Unternehmer und Initiator der „Querdenker“-Demos, Michael Ballweg. Zu den Exoten zählen der gelernte Eisenbieger, Bauunternehmer und Bordellbesitzer John Heer oder Friedhild „Fridi“ Miller, die bei ihrer nunmehr 112. Bürgermeisterkandidatur „Liebe zu verschenken“ hat.