© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Danni plus Fahne
Öko-Extremismus: In Hessen wollen Baumbesetzer eine Autobahn verhindern / Doch offenbar geht es nicht allen um Naturschutz
Hinrich Rohbohm

Der Weg ist versperrt. Mitten auf dem Waldpfad liegt ein Haufen Baumstämme. Eine Barrikade für Fahrzeuge, die dieser Tage im Dannenröder Forst keine Seltenheit ist. Linksradikale und Umweltgruppen haben den keine 20 Kilometer von der mittelhessischen Universitätsstadt Marburg entfernten Wald zu ihrem Domizil gemacht. Der Grund: Sie wollen den weiteren Ausbau der Autobahn 49 verhindern. Dessen Trasse verläuft zu einem Teil durch den tausend Hektar großen Forst. Ein Projekt, dessen Umsetzung die hessischen Grünen im Rahmen ihres Koalitionsvertrages mit der CDU zugesagt haben. Und für das sie nun von ihrer Klientel mächtig Ärger bekommen.

Denn die Grünen im Bund sowie vor Ort wollen eigentlich den Schulterschluß mit den Protestlern suchen, sich mit ihren Zielgruppen solidarisieren. Und stehen durch die Haltung der Landes-Grünen, die in Hessen den Verkehrsminister stellen, nicht nur bei der politischen Konkurrenz, sondern auch bei der eigenen Klientel als unglaubwürdig da.

„Welche demokratische Legitimation haben die?“

Am Bahnhof von Stadtallendorf, etwa zehn Kilometer vom Geschehen entfernt, haben einige der Protestler eine „Mahnwache“ errichtet, an der sie Infomaterial auslegen. Unter anderem einen Flyer der Initiative „Wald statt Asphalt“, die mit einem „bunten, abwechslungsreichen Programm“ darum wirbt, am Protestcamp teilzunehmen, um „gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und für eine sofortige Mobilitätswende zu demonstrieren.

Unterstützt wird die Initiative nicht nur von Greenpeace und Robin Wood, sondern auch von Fridays for Future, den radikalen Klimaschützern von Extinction Rebellion sowie der gewaltbereiten und linksextremistisch beeinflußten Organisation Ende Gelände, die als Ableger der Interventionistischen Linken gilt. Ein Impressum weist der Flyer erwartungsgemäß nicht auf, um dessen Herkunft besser verschleiern zu können.

Was hält man dort von der Haltung der hessischen Grünen? „Ich finde es nicht in Ordnung, daß man jetzt immer nur auf den Grünen herumreitet. Wir sollten viel mehr über den Danni reden“, versucht einer der selbsterklärten Waldbeschützer die Kritik an der Ökopartei zu relativieren. Schließlich müsse es doch um die Sache gehen und nicht darum, „wer bei den Grünen dafür oder dagegen“ sei.

Wie sehr es zahlreichen dieser „Aktivisten“ um die Sache geht, zeigt sich bereits bei ihrer Anreise. Während die „Wald statt Asphalt“- Initiative öffentlichkeitswirksam eine 90 Kilometer lange Radtour von Kassel zum Dannenröder Forst anpreist, kommen die meisten der sogenannten Aktivisten per Pkw bis an den Waldrand gefahren. Bei den Einwohnern in Stadtallendorf kommt dieser Vorwurf im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT ausgesprochen häufig.

„Die meisten von denen kommen ja noch nicht einmal von hier“, ärgert sich einer von ihnen. Manche der Protestler kämen noch nicht einmal aus Deutschland. „Da frage ich mich schon, mit welcher Legitimation sich diese Leute in demokratisch gefällte Entscheidungen einmischen.“ Schließlich sei die große Mehrheit der Bevölkerung in der Region für den raschen Ausbau der A 49.

„Wir haben hier sehr kurvenreiche Straßen mit zahlreichen tödlichen Unfällen. Für die meisten hier in der Gegend ist die Autobahn ein Segen“, sagt ein einheimischer Lkw-Fahrer, der die Strecken rund um den Dannenröder Forst gut kennt. Auch die Berufspendler und die regionalen Gewerbebetriebe würden schon ungeduldig auf die Fertigstellung der Trasse warten. „Und dann kommen hier irgendwelche Berufsdemonstranten an, spielen sich als Umweltretter auf und fahren dabei mit ihren Autos doch selbst auf den Straßen.“

Im Protestcamp, das sich auf einer Wiese am Dorfrand von Dannenrod befindet, stehen Dutzende von Autos und Wohnmobile. Zahlreiche Zelte reihen sich aneinander. Die Botschaften, die auf ihnen mit Farbe geschrieben stehen, klingen längst nicht immer nach Waldschutz und Autobahn-Protest. „Liebig 34 bleibt“, ist dort mehrfach zu lesen. Gemeint ist ein lange Zeit von Linksradikalen besetztes und im vorigen Monat von der Polizei geräumtes Gebäude in der Liebigstraße 34 in Berlin-Friedrichshain, das als Symbol der linken Szene gilt.

Am Waldrand endet die Mobilitätswende

Bei Ankunft folgen mürrische, mißtrauische Blicke. Wir haben Angemessenes zum Einschmeicheln dabei: Tofu und Klopapier. „Super, das können wir gut gebrauchen“, ruft eine junge Frau. Und erteilt sogleich bereitwillig Auskunft über die Standorte des harten Kerns der Protesttruppe, beschreibt uns die Stellen, wo wir die Waldbesetzer finden. „Schön, daß Sie mit dabei sind“, ruft sie noch nach. Wenn die wüßte.

Unterdessen kommen im Protestcamp immer wieder neue „Aktivisten“ mit dem Pkw angefahren, stellen ihren Wagen am Waldrand ab, vermummen sich und gehen in den Forst. Vorbei an den Holzbarrikaden, immer tiefer in den Wald hinein, der den Geräuschpegel vom Camp schnell schluckt.

Stille. Nur die bereits gelb gefärbten Blätter rascheln im Wind. Manchmal raschelt es auch auf dem Boden, wenn einzelne kleine Tiere durch das Laub flitzen. Plötzlich wird es lauter. Der Wind trägt schrille Musik herüber. Gegröle und Gejohle. Wir arbeiten uns durch das Gehölz und den nassen, schlammigen Boden, kommen näher. Vorbei an einem mit rosa Farbe beschmierten Baumstamm: „ACAB“ steht da. Die englische Abkürzung für „All Cops Are Bastards“, zu deutsch „Alle Polizisten sind Bastarde“. Auch das klingt irgendwie nicht nach Schutz des Waldes.

Dann sind sie zu sehen: die errichteten Baumhäuser jener sogenannter Aktivisten. Sie haben sich Holzleitern gebaut, aus Paletten und Brettern eine Plattform zwischen Buchen und Eichen errichtet. Tücher und Laken dienen als Wände. In manchen der provisorischen Unterkünfte sind sogar Fenster eingebaut. Die einzelnen Häuser sind mit Seilen verbunden. Transparente der Antifa hängen von den Behausungen herunter. Und auch hier findet sich der Spruch „Liebig 34 bleibt.“ „Wir sind das Unkraut, das immer wieder kommt“, steht auf einem der Häuser.

Doch im Moment kommt keiner. Die „Aktivisten“ haben ihre Baumdomizile verlassen. Sie haben sich an einem Lagerplatz versammelt, trinken und grölen bei derart dröhnender Musik, daß wohl Hänsel und Gretel samt Knusperhaus-Hexe aus diesem als Märchenwald bekannten Forst reißaus genommen hätten. Ein stechender Geruch von Marihuana durchzieht die Luft. Heißt: Die Gelegenheit ist günstig. Wir klettern in eines der Baumhäuser, sehen uns um. Zwischen Matratzen liegen Schnaps- und Wasserflaschen. Zigaretten, Kartoffelchips-Tüten, deren Inhalt auf Matratzen und Holzboden verstreut ist.

„Die Grünen haben’s verkackt“

Dann raschelt es auf dem Boden. Schritte. Zwei Aktivisten laufen unten am Baumhaus vorbei. Vermummt. Kommst heut’ abend auch noch mit nach Frankfurt, bissel Party machen?“, nuschelt der eine. Vom anderen können wir unter der Vermummung nur noch ein undeutliches Grunzen vernehmen. Als sich die beiden entfernt haben, klettern wir wieder herunter, gehen weiter, noch tiefer in den Wald. Weitere vermummte „Aktivisten“ kommen entgegen. Reden wollen sie nicht.  

Erst im Camp am Waldrand ist man gesprächiger. „Verhindern können wir den Bau nicht“, geben sie hier unumwunden zu. Aber: „Wir können ihn hinauszögern. Das wird die einen Haufen Geld kosten. Und wenn wir es schaffen, bis Februar durchzuhalten, können sie erstmal nicht weitermachen, weil dann für den Wald eine gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit gilt“, lautet die Hoffnung der Besetzer. In bezug auf die Grünen sind sie hier weniger gnädig mit der Partei. „Die Grünen haben es verkackt“, schimpft eine junge Frau. Ein Transparent untermauert diese Stimmung. „Al-Wazir, Hinz, Goldbach. Ihr laßt uns im Stich. Wir brauchen euch nicht mehr“, steht dort als unmißverständliche Botschaft.

Die Sonne steht bereits tief. Immer mehr „Aktivisten“ kommen nun aus dem Wald zurück. Motoren heulen auf, Autos fahren ab. Vermummte nehmen ihre Masken ab, schmeißen Rucksäcke und Pappkartons in den Kofferraum. Am Rande dieses Waldes enden Mobilitätswende und Umweltschutz.