© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Chinas Philosophen denken über die neue Weltordnung nach
Habermas verliert, Schmitt gewinnt
(wm)

Das diesjährige 75. Gründungsjubiläum der Vereinten Nationen, am 24. Oktober, ließ die deutsche Medienöffentlichkeit fast sang- und klanglos vorübergehen. Das mag primär an der alle Aufmerksamkeit beanspruchenden Corona-Pandemie gelegen haben. Für den emeritierten Frankfurter Pädagogen Micha Brumlik, den Präses der Habermas-Gemeinde, hat das aber auch mit einem sich derzeit entfaltenden chinesischen Angriff auf die westliche „Wertegemeinschaft“ und ihres Allerheiligsten zu tun, dem in der UN-Charta formulierten „Menschenrechtsuniversalismus“. Der werde weltweit mit keinem Denker so stark identifiziert wie mit Jürgen Habermas (Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2020). Leider gewännen unter chinesischen, den globalisierten UN-Liberalismus ablehnenden Philosophen jene an Einfluß, die Habermas’ von konservativen deutschen Kritikern von jeher attackierten realitätsblinden „Utopismus“ aufs Korn nähmen. Weil dessen „Theorie des kommunikativen Handelns“ ein grundlegendes Problem des Politischen ignoriere: Angelegenheiten, die essentielle Daseinsinteressen berühren, „lassen keinen Raum für Verhandlungen, gleichgültig wie rational der Diskurs geführt wird“. Eine Einsicht, die in westeuropäischen Gesellschaften im Umgang mit dem niemals unpolitischen Islam bald an Boden gewinnen dürfte. Je weniger Habermas’ Stern in China glänze, desto heller leuchte der Carl Schmitts, wie sich Brumlik argumentativ hilflos entsetzt. Schmitts Diktum „Wer Menschheit sagt, will betrügen“ habe das neue chinesische Modell einer Weltordnung inspiriert, die als „Pluriversum raumbezogener Mächte“ gedacht ist. 


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