© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Hinter Gittern
Im Gefängnis: Eine Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum erzählt vom Entzug der Freiheit
Paul Leonhard

Gefängnisse rücken meist in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, wenn es spektakuläre Vorfälle gibt: Ausbrüche, Geiselnahmen, wenn sexuelle Beziehungen zwischen Insassen und Wärtern publik werden oder prominente Häftlinge freikommen. Das war Ende Oktober der Fall, als der frühere RAF-Verteidiger Horst Mahler, inzwischen 84 Jahre alt, nach mehr als elf Jahren Haft wegen Volksverhetzung, entlassen wurde. Mahler war wegen Holocaust-Leugnung verurteilt worden, ein speziell deutscher Straftatbestand. Ähnlich hart greifen osteuropäische Staaten – zumindest in der Theorie – durch, wenn dort Verbrechen der Kommunisten geleugnet oder verharmlos werden.

Welche Handlungen jenseits von Mord, Vergewaltigung und Raub zu einer Gefängnisstrafe führen, hängt häufig mit dem herrschenden Zeitgeist zusammen. So wurde 1965 in der Bundesrepublik ein Mann wegen homosexueller Handlungen zu sieben Wochen Haft verurteilt und 1979 eine 19jährige in der DDR wegen Republikflucht zu 20 Monaten. 2011 erhielt ein 20 Jahre alter Mann in England vier Jahre Gefängnis wegen Aufrufs zum Aufstand in sozialen Netzwerken, 2013 ein 42jähriger in Irland wegen Abtreibung 14 Jahre.

Wenn der Staat das Gefühl bekommt, daß die Bürger ihre staatsbürgerlichen Pflichten ihm gegenüber nicht erfüllen, kann er gnadenlos werden. Er muß Recht sprechen, um die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Und so ist es schon bemerkenswert, daß sich ausgerechnet das Deutsche Hygiene-Museum zu Dresden inmitten der seit März anhaltenden größten Einschränkungen der bürgerlichen Freiheitsrechte, die wegen der Corona-Pandemie verhängt werden, in einer Sonderausstellung nicht etwa Corvid-19 und den staatlich verordneten „Hygienemaßnahmen“ und Kontaktverboten zuwendet, sondern dem Thema „Im Gefängnis. Vom Entzug der Freiheit“.

Gefängnisse verursachen dem Staat hohe Kosten

Daß dieser Titel etwas doppeldeutig wirkt, ist unbeabsichtigt. Zum einen wurde die gemeinsam mit dem Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum Genf und dem Musée des Confluences Lyon entwickelte Schau bereits im Februar 2019 in Genf gezeigt, und zum anderen würde die Museumsleitung, die brav in jede ihrer Verlautbarungen Binnensternchen setzt, nie Kritik am herrschenden System positiv thematisieren. Das hat im Deutschen Hygiene-Museum seit einhundert Jahren Tradition. Um so auffallender ist der Lapsus, daß der Begriff „Gefängnis“ verwendet wird. Spricht doch das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe längst von „Haftorten“.

Aber egal ob Gefängnis, Strafanstalt, Justizvollzugsanstalt, Justizanstalt (Österreich) oder Landesgefängnis (Liechtenstein) – es war die Französische Revolution, mit der nach vielen Morden auch ein Neudenken im Umgang mit Verbrechern einsetzte. Bis dahin waren Menschen jahrhundertelang nur so lange eingekerkert worden, bis sie ihre eigentliche Strafe erhielten. Je nach Schwere der Tat wurden die Delinquenten an den Pranger gestellt, wurden verbannt, geprügelt, es wurden Ohren und Gliedmaßen abgeschnitten, wurde enthauptet, gehängt oder gerädert, aber Freiheitsentzug als eigenständige Strafe ist eine relativ neue Erfindung. Und eine, die dem Staat hohe Kosten verursacht. Denn er muß Gefängnisse bauen und unterhalten, Wachpersonal beschäftigen und dieses sowie die Gefangenen versorgen.

Gefängnisse wurden als weitflächiges Areal mit äußeren Zaunanlagen oder Mauer mit Wachtürmen definiert, die im Inneren über Gebäude zur Unterbringung der Gefangenen, des Wachpersonals sowie zur Aufnahme von Sozialeinrichtungen verfügen. Gut einsehbare Freiflächen dienen nicht nur zum zeitweisen Aufenthalt der Häftlinge im Freien, sondern auch zur besseren Überwachung der Zugänge. Und schon tauchen Erinnerungen an ganze Staaten auf, die sich zu Gefängnissen für ihre Bürger entwickelten. Der einstige DDR-Dissident Wolf Biermann besingt in seiner Stasi-Ballade: „Ach, bedenkt, ich sitz’ hier fest/ Darf nach Ost nicht, nicht nach West/ Darf nicht singen, darf nicht schreien/ Darf nicht, was ich bin, auch sein/ Holtet ihr mich also doch/ Eines schwarzen Tags ins Loch/ Ach, für mich wär’ das doch fast/ Nichts als ein verschärfter Knast.“ Und die Arbeiter und Bauern dichteten etwas gröber: „50 Meter im Quadrat/ ringsherum nur Stacheldraht/ rat mal wo ich wohne?/ ich wohne in der Zone.“

Im Deutschen Reich sah das nach der Reichseinigung 1871 in Kraft getretene Reichsstrafgesetzbuch vier Arten von Haft vor: Zuchthaus mit Arbeitspflicht bei Strafen von einem Jahr bis lebenslänglich, Gefängnis mit Recht auf Arbeit (ein Tag bis fünf Jahre), Festungshaft und Arbeitshaus bei Landstreicherei, Trunksucht, Arbeitsscheu, gewerbsmäßiger Unzucht (bis zu zwei Jahren). Das Ziel war letztlich, Straftäter zu erziehen, damit sie nach ihrer Entlassung als mustergültige Bürger leben oder zumindest durch das Erleben des Gefängnisalltags von neuen Straftaten abgeschreckt würden.

Konflikt- und Gewaltpotential

Geschaffen wurde nicht nur neue Gefängnisarchitektur, die sich vor allem in Westeuropa an dem von Jeremy Bentham Ende des 18. Jahrhunderts erdachten Panoptikum – ein zentraler Turm innerhalb eines Rundbaus dient der ständigen Überwachung aller Inhaftierten – orientierte, sondern auch eine Gefängniswelt mit eigenen Regeln und Machtstrukturen. Die Dresdner Ausstellung thematisiert dieses Konflikt- und Gewaltpotential in einem ihrer fünf Räume, in dem auch selbst gebastelte Waffen, unter anderem aus Gabeln gefertigt, Schlagringe und Wurfgeschosse, aus dem geschlossenen Vollzug zu sehen sind. Ein aus Silikon geformter und mit einer Heizspirale versehener künstlicher Penis, gebaut von inhaftierten Frauen, erinnert an die unterdrückte Sexualität. Beeindruckende Fotografien aus unterschiedlichen europäischen Haftanstalten vermitteln intime Eindrücke vom Leben in der Zelle, die im Gefängnis einen Rückzugsort bietet. Alltagsobjekte, Schriftstücke und Kunstwerke zeigen, mit welcher Kreativität Gefangene dem Mangel an privaten Gegenständen, Abwechslung und Kontakten zur Außenwelt begegnen.

Von Regelverletzungen, Aufständen, Selbstmord- und Fluchtversuchen berichtet der letzte der Räume. Nachdem der Besucher derart damit konfrontiert wurde, was Freiheitsentzug mit den Menschen macht, wird ihm auch die Frage nach Alternativen zum aktuellen Gefängnissystem gestellt. Anschließend darf er die Gefängnisschau verlassen, um unter Einhaltung der auch jenseits der Museumsräume geltenden staatlichen Hygieneauflagen, also versehen mit einem korrekt aufgesetzten Mund-Nasen-Schutz und ohne Kontakte zu fremden Personen, auf dem schnellsten Weg nach Hause zu laufen. Im Weigerungsfall droht der Staat mit Konsequenzen.

Die Ausstellung „Im Gefängnis. Vom Entzug der Freiheit“ ist bis zum 31. Mai 2021 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, Lingnerplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 51 / 48 46-400. Die Begleitpublikation kostet 19,90 Euro.

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