© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Die Flaschenpost erreicht immer noch ihr Ziel
Metamorphosen der Frankfurter Schule: Der kulturelle Marxismus kann seinen Einfluß trotz aller Widerstände in den USA festigen
Felix Dirsch

Die jüngsten Unruhen in den USA im Zusammenhang mit der in den sozialen Netzwerken entstandenen „Black Lives Matter“-Bewegung haben ein altes Phänomen neu in den Fokus der Debatte rücken lassen: den Kulturmarxismus. 

Keinem aufmerksamen Beobachter der letzten Monate ist entgangen, mit welch ideologischer Vehemenz dieser afroamerikanische Stoßtrupp die Hegemonie der Linken festigen will. Der vorgeschobene Kampf gegen den Rassismus geht weit über Gewalt und Ungerechtigkeiten des Alltags hinaus, die zwar in etlichen Fällen tatsächlich festzustellen sind, gleichzeitig jedoch als Vehikel für Kampagnen funktionalisiert werden. Zu den Absichten der Gruppe zählt, Unruhen in den Städten zu entfachen. Ein eigenes Kapitel ist die wütende Denkmalstürmerei, mit der der Kampf gegen die Erinnerungskultur des eigenen Landes einhergeht. Die Südstaaten-Ikone General Robert E. Lee soll ebenso geschleift werden wie das Gedenken an den Amerika-Entdecker Christoph Kolumbus. Der Gegner, typischerweise der weiße, christlich-konservative Mann, wird gern zum rassistischen Feindbild stilisiert.

Akzentverschiebungen marxistischer Ideologie

Vertreter der US-Demokraten haben stets ihre Sympathien für dieses Vorgehen bekundet. So hat sich Joe Biden schon einige Male mit Repräsentanten der „Black Lives Matter“-Bewegung, zu denen auch Patrisse Khan-Cullors gehört, solidarisiert. Die heute 37jährige US-Künstlerin hat sich als Vertreterin des Kampfes gegen Polizeigewalt wie auch als Queer- und Multikulti-Protagonistin einen Namen gemacht.

Evident ist: Jüngere US-Linke sind öfter vom Gedankengut der Frankfurter Schule infiltriert. Ein Beispiel ist die 31jährige Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez, die sich als demokratische Sozialistin versteht und seit 2019 als jüngste Abgeordnete dem Repräsentantenhaus angehört; aber letztlich läßt sich marxistischer Einfluß bei vielen Bernie-Sanders-Fans belegen.

Seit rund 20 Jahren zeigen wiederholte Kontroversen über den „kulturellen Marxismus“ dessen Wandlungsfähigkeit. Die Frankfurter Schule, institutionalisiertes Zentrum des Neomarxismus, der weniger kritische Theorien formulierte als Konzepte zur politischen Praxis bereitstellte, schaffte es durch ihre Erben immer wieder neu, das eigene Denken veränderten Situationen anzupassen. Die scheinbare Aktualität blieb so gewährleistet.

Verschiebungen entscheidender Akzente sind für die marxistische Ideologie stets charakteristisch. Schon vor der Übersiedelung des Instituts für Sozialforschung von Frankfurt in die USA Anfang der 1930er Jahre (aufgrund der Radikalisierung der Verhältnisse in Eu-ropa), kamen dessen führende Vertreter, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, zu einer naheliegenden Schlußfolgerung: Wichtige ökonomische Aussagen und politische Schlußfolgerungen Marx’ sind erstens nicht eingetroffen, zweitens nicht wünschenswert (bolschewistische Revolution in Rußland!) – folglich bleiben die Marxschen Gedankengänge primär als Analyseinstrument zur Beschreibung der Entwicklungen der kapitalistischen Wirtschaft.

In der Neuen Welt stellten die Exilanten bald fest, daß Kapitalismus und politisches System fest im Sattel sitzen. Die Emanzipation ist also nur auf dem Weg der langfristigen kulturellen Umwälzung zu erreichen: vornehmlich über die Delegitimierung zentraler bürgerlicher Institutionen. Zu den wirkmächtigen Forschungsprojekten zählen die „Studien über Autorität und Familie“. An solche Überlegungen, die die autoritäre Persönlichkeit, ihre Bedeutung für den Faschismus und ihre Überwindung in den Mittelpunkt stellen, kann das längst unüberschaubar gewordene Feld des Gender-Mainstreamings und der Queer-Studies anschließen.

Das infolge des sozialen Wandels abhanden gekommene Subjekt der Umgestaltung, die nach 1945 immer revolutionsmüdere Arbeiterschaft, war leicht zu ersetzen: Es boten sich zuerst emanzipationsfreudige Studenten an, später die Frauen, aber auch die Farbigen, schließlich die Homosexuellen und weitere diverse Gruppen.

In der Umgebung von Adorno und Horkheimer kolportierte man gern, daß der Erfolg der „Frankfurter“ Doktrin so unwahrscheinlich sei wie die genaue Ankunft einer Flaschenpost. Diese Fehleinschätzung war zumindest für die Zeit nach der Rückkehr des Instituts für Sozialforschung nach Frankfurt in den frühen 1950er Jahren falsch. In der jungen Bundesrepublik lechzten viele Vertreter der „Kulturindustrie“ nach einer „intellektuellen Gründung“ durch das „bessere Deutschland“. Vergangenheitsbewältigung, Westbindung und Umerziehung boten sich als primäre Aufgaben an, die den Remigranten wie auf den Leib geschneidert waren. Der schillernde Themenkomplex „1968“ wurde theoretisch lange vorweggenommen. Die Väter der 68er-Aktivisten distanzierten sich aber von ihren radikalen Rezipienten, was ihnen als arrivierten Professoren nicht schwergefallen sein dürfte.

Breitbart News etablierte sich als Gegenstimme 

Es ist den Umständen der verschärften US-Kulturkämpfe der letzten Jahre geschuldet, daß gerade dort immer wieder Journalisten und Wissenschaftler den Fehdehandschuh der Kulturmarxisten aufgegriffen haben. Andrew Breitbart (1969–2012) war einer ihrer heftigen Opponenten. Der Adoptivsohn eines jüdischen Steakhouse-Besitzers wuchs im Mainstream des linksliberalen Universitätswesens auf. Adorno, Horkheimer, Marcuse und andere standen bevorzugt auf seiner Leseliste. 

Mitte der 1990er Jahre wandte Breitbart sich von diesem Milieu ab, entdeckte das Internet und kam mit rechten Autoren in Berührung. Breitbart verschrieb sich der kulturkonservativen Gedankenwelt. Der Umtriebige stieg ins Mediengeschäft ein. Es entstand das Nachrichtenportal „breitbart.com“. Er machte durch einige mediale Skandale sowie durch Buchprojekte auf sich aufmerksam. „Breitbart News“ etablierte sich schnell als dezidiert konservative Medieneinrichtung, die linksliberale Netzwerke erbittert bekämpfte.

2005 war Breitbart an der Gründung der Huffington Post beteiligt, die mittlerweile jedoch eher im linksliberalen Spektrum anzusiedeln ist. Er fand in dem Vertreter der Alt-Right-Bewegung Steve Bannon einen adäquaten Nachfolger, der zeitweise im Zentrum der amerikanischen Politik stand, aber erkennen mußte, daß Trumps Agenda von diesem selbst gestaltet wird.