© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Umwelt
Invasor mit 19 Punkten
Paul Leonhard

Von einer Marienkäfern-Invasion an Hauswänden berichtete der WDR. Aber es besteht kein Grund zur Panik. Die Tiere seien auf der Suche nach Winterquartieren und dabei komme es oft zu Ansammlungen von mehr als hundert Tieren, die eine Pause einlegen, beruhigt der Naturschutzbund. Die Wohnung sei nicht in Gefahr, als Unterschlupf dienten den Käfern Hohlräume, Laubhaufen, modrige Baumstümpfe oder Spalten in Mauern. Hier verfallen sie in eine Winterstarre, aus der sie erst im Frühling erwachen. Dafür sind die Überlebenskünstler mit einem körpereigenen Frostschutzmittel in Form von Glyzerin und anderen Zuckern ausgestattet. Marienkäfer gelten als Glücksbringer, sie sollen Kinder beschützen und Kranke heilen. Bei den alten Germanen waren sie geheiligte Tiere der Liebesgöttin Freya.

Die sechs Millimeter großen Fremdlinge sind orangerot bis fast völlig schwarz.

Allerdings: Meistens handelt es sich aber nicht um eine der 70 heimischen Arten, deren bekannteste der Siebenpunkt (Coccinella septempunctata) ist, sondern um den asiatischen Harlekin-Marienkäfer (Harmonia axyridis). Diese wurden vor Jahrzehnten nach Europa importiert, um in Gewächshäusern Schädlinge zu bekämpfen, entkamen aber bald in die freie Natur und vertilgen nun gern auch die Larven der heimischen Marienkäferarten – ein typisches Beispiel für Bioinvasionen. Die sechs Millimeter großen Fremdlinge sind orangerot bis fast völlig schwarz – lassen sich aber an ihren 19 Punkten auf den Flügeldecken eindeutig erkennen. Sollte sich ein Marienkäfer doch versehentlich in die Wohnung verirrt haben, keine Angst, er frißt nichts, sondern will nur schlafen. Und wenn er irgendwann beim Kehren unter einer Ritze anscheinend leblos und vertrocknet zum Vorschein kommen, sollte man ihm eine Chance geben. Denn wenn der Siebenpunkt irgendwann zu krabbeln beginnt, steht der Frühling vor der Tür – und macht sich bald über die schädlichen Blattläuse her.